Deutscher Gewerkschaftsbund

20.10.2020
Gewerkschaften und PlattformarbeiterInnen

Mit Rückenwind gegen Tech-Giganten

Gegen die großen Digitalkonzerne kommt man nicht an? Das ändert sich gerade. Neue Kooperationen zwischen Internetbewegungen und klassischen Gewerkschaften ernten erste Erfolge. Der Fall Youtube zeigt es.

kleiner Mann und große Hand bewegen Schachfiguren

DGB/bowie15/123rf.com

Im digitalen Universum war es höchstens ein Blitzlicht. In der Videobranche allerdings hat es in diesem Sommer als Blitz eingeschlagen: Im Juli dieses Jahres beschlossen 21 Autorinnen bei der Spieleapp Lovestruck – hier geht es um die ideale Liebesromanze – zu streiken. Drei Wochen lang lieferten sie nichts, mit finanzieller Unterstützung ihrer Fans, die sie über ein Crowdfunding mobilisierten. Dann hatten sie ihr Ziel erreicht: Ihr Arbeitgeber, die Voltage Entertainment in den USA, gewährte eine durchschnittliche Lohnerhöhung von 78 Prozent. Es war der erste, und dann auch noch erfolgreiche Streik in der milliardenschweren digitalen Spielebranche.

Digital Natives, die sich organisieren, sich mit Spenden aus dem Netz finanzieren, und sogar streiken. Fans, die mitmachen und erzürnte Mails an Unternehmen schreiben. Und Tech-Riesen, die sich Forderungen beugen – das ist neu. Es tut sich was in der digitalen Arbeitswelt. Und das auch, weil traditionell aufgestellte Gewerkschaften und Internetbewegungen nach jahrelangem skeptischen Beäugen miteinander kooperieren.

Kampagne für Spielewelt und Tech-Arbeiter 

So war der Streik der Lovestruckerinnen in den USA keine unabhängige Einzelaktion, sondern das Produkt einer ungewöhnlichen Kooperation: Schon vor zwei Jahren hatten weltweit AutorInnen von Videospielen angefangen, gegen unsägliche Arbeitsbedingungen wie 100 Stunden in der Woche zu protestieren. Sie gründeten dafür die Game Workers Union (GWU), beharrten aber darauf, dass sie keinesfalls eine klassische Gewerkschaft seien. Lange konnten traditionelle Gewerkschaften auch deswegen mit Internetbewegungen wie diesen wenig anfangen – bis sich die Kommunikationsgewerkschaft CWA in den USA Anfang 2020 entschied, eine Kampagne zu starten und die Spielewelt und Tech-Arbeiter endlich zu organisieren. „CODE“ nennen sie die Kampagne: „The campaign to organize digital employees“.

Youtube

Der überwiegende Teil der Video-Produzenten will unterhalten. YouTube ist mit 1,9 Milliarden Nutzern die zweitbeliebteste Social Media Plattform.

Der Streik bei Lovestruck zeigt, dass es funktioniert, der Erfolg sei ein „historischer Sieg“, titelten die CWA-GWU-Kooperation. Mit dabei war Emma Kinema, eine Initiatorin der Spiele-Gewerkschaft. Die Kooperation mit der CWA mit ihrer Erfahrung und Finanzen könne die Bewegung „auf das nächste Level tragen“, sagte sie der Los Angeles Times.

Alles nur in den USA möglich? Nein, auch in Deutschland gibt es seit kurzem eine ungewöhnliche und erfolgreiche Kooperation zwischen einer traditionellen Gewerkschaft und einer Internetbewegung: Die IG Metall und Youtube, der Videogigant mit seinen täglich 2 Milliarden NutzerInnen.

Youtube Union: Initiative für Videoproduzenten und Kanal-BetreiberInnen

Auch hier stand am Anfang eine erzürnte Internetbewegung: 2017 erlebte Youtube nach mehreren antisemitischen und rassistischen Videos eine „Adpocalypse“ – wichtige Werbekunden sprangen ab, das Unternehmen musste millionenschwere Verluste hinnehmen. Daraufhin änderte Youtube ohne große Vorankündigung die Spielregeln für die „Creators“, die Schöpfer der Videofilme. Geld gab es nun nur noch, wenn sich mindestens 10 000 Menschen ein Video angesehen haben. Für die meisten der über 100 000 Youtuber, die kein oder wenig Geld mit ihren Filmen verdienen, war das wenig relevant – für andere zerstörte es allerdings ein etabliertes Geschäftsmodell, auf dass sie sich verlassen hatten. Plötzlich fanden sich Videos nicht mehr wieder, wurden anders bewertet über Algorithmen und anders beworben – die Einnahmen der Youtuber brachen ein.

Ein erfolgreicher deutscher Youtuber, Jörg Sprave, wollte diese Behandlung nicht unwidersprochen hinnehmen, gründete 2019 die „Youtube Union“ und konfrontierte das Unternehmen mit Forderungen nach mehr Transparenz und Mitbestimmung. Innerhalb weniger Wochen versammelten sich 15 000 Menschen weltweit hinter ihm, Creators, aber auch Tausende Fans. Youtube akzeptierte daraufhin Gespräche und lenkte in wenigen Details ein. Aufrufe zu Streiks, zu denen die Bewegung ebenfalls aufrief, blieben dagegen weitgehend erfolglos.

Youtube

Vor allem Einzelpersonen stehen hinter den Profilen, die Videofilme auf Youtube produzieren. Besonders erfolgreiche InfluencerInnen werden von Agenturen vermarktet und gemanaged.

Erst die Kooperation mit der IG Metall brachte Fahrt in die Bewegung. Im Juli 2019 gründete Sprave mit der Gewerkschaft gemeinsam „Fairtube“. Eine klare Win-win-Situation für beide: „Die IG Metall hat die politischen Verbindungen, die Erfahrung und die Größe, um Youtube anzugreifen. Aber sie hatten keinen Zugang zur Youtube-Community, die kannten sie nur als Konsumenten“, sagt Jörg Sprave auf einer Videokonferenzreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung zur „Trade Unions in Transformation 4.0“ Anfang Oktober, an der weltweit über 140 Menschen teilnahmen, von Argentinien über Bahrain bis Ruanda.

Die neue Kooperation zeigte schnell Erfolge, aber auch, dass es nicht einfach werden würde, einen Konzern wie Google unter Druck zu setzen. Google – dem Youtube gehört - erklärte sich zunächst zu Gesprächen bereit. Die IG Metall cancelte sie aber im letzten Moment, weil Google keine Youtuber wie Jörg Sprave als Gesprächspartner akzeptierte. Aber der Druck, von IG Metall wie Fans hielt an – und Youtube ließ mit sich reden. Mittlerweile sind die Algorithmen keine schwarze Box mehr, sondern werden erklärt, Änderungen werden angekündigt, es gibt konkrete Ansprechpartner – und Youtube ist Mitglied bei der Facebook-Gruppe „the YouTubers Union“, wo sich Sprave und seine MitstreiterInnen organisieren. Und hinter den Kulissen wird weiter miteinander geredet. Für Sprave ist der nächste Schritt, die weltweit verstreuten UnterstützerInnen besser zu verbinden – mit der Gründung eines Vereins.

Kooperation mit der IG Metall

Dieser Erfolg hat das Interesse von Forschern geweckt, die die Frage analysieren, unter welchen Bedingungen Tech-Giganten welche Arbeitsbedingungen bereit sind zu diskutieren: Valentin Niebler und Annemarie Kern haben die im September eine Studie zu Youtube veröffentlicht. Sie nennen als wichtige Parameter für den Erfolg: Dass es einen Konflikt gab; dass sich die Youtuber trotz der Fragmentierung – jeder arbeitet ja meist für sich allein – organisierten und online Druck aufbauten; die Kooperation mit der IG Metall als erfahrener Gewerkschaft mit Ressourcen; und der gesellschaftliche Druck auf Youtube durch zahlreiche Fans. „Youtube ist immer auf der Suche nach den besten Talenten. Wenn die Leute denken, das ist nicht cool, dann gehen sie woanders hin. Deswegen achtet Youtube auf sein Image“, sagt Sprave.

Die Analyse dieser Rahmenbedingungen ist zentral, denn sie liefert Hinweise für Gewerkschaften, wie man gemeinsam mit Internetbewegungen die Arbeitsbedingungen bei Digitalkonzernen thematisieren kann. Niebler hat weitere Plattformen im Auge: „Twitch, Tiktok, Instagram, die sehen alle aus wie lustige Plattformen. Aber es sind Arbeitsplattformen, wo es dann eben auch um Arbeitsbedingungen geht.“

Regeln für die Plattformenarbeit

Vorteil für die Youtuber war, dass die IG Metall immerhin erste Erfahrungen damit hatte, was den digitalen Selbstständigen wichtig ist. Schon 2015 hatte sie in Zusammenarbeit mit dem Softwareentwickler testbirds eine erste Version einer freiwilligen Selbstverpflichtung herausgearbeitet, die Regeln für die Zusammenarbeit mit den Crowdworkern festhielt. Seit 2017 ist ein weiterentwickelter Code fertig, den immerhin zehn Plattformen unterzeichnet haben, darunter der Crowdsourcing Verband. Zu den Regeln, die man sich gegeben hat, gehört unter anderem die Bezahlung, wonach den Auftragnehmern „ein dem Wert der Arbeit faires und angemessenes Honorar“ bezahlt wird – und zwar rasch, ohne Verzögerung und mindestens einmal im Monat.

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Was dagegen zum Beispiel nicht akzeptabel sei, so die für das Thema zuständige zweite Vorsitzende der IG Metall Christiane Benner, sei das Abschalten eines Accounts: „Einfach abknipsen geht auf keinen Fall, das ist doch wie eine direkte Kündigung ohne Warnung oder Abmahnung. Nur weil Crowdworker nicht bei der Plattform angestellt sind, heißt das ja nicht, dass sie kein Anrecht auf eine faire Behandlung haben“, sagte sie 2019 in einem Interview. Einen solchen Fall hat die Gewerkschaft vor Gericht gebracht.

Crowdwork: Urteil über Status

Dabei erledigte ein Mann auf einer Crowdworkerseite – die den Code of conduct nicht unterschrieben hat – sogenannte Mikrojobs: er fotografierte im Auftrag der Plattform das Warenangebot in Tankstellen und auf Märkten und verdiente damit gut Geld – bis der Account abgeschaltet wurde. Er sei ein Angestellter der Firma, kritisierte der Crowdworker und zog mit Hilfe der IG Metall vor Gericht.

Mitte Dezember 2019 entschied das Landesarbeitsgericht in München, schon die zweite Instanz, allerdings dagegen: Der Kläger sei kein Angestellter, sondern selbstständig – er müsse die Aufträge ja nicht annehmen. Das Urteil gilt als zentral, da noch nie ein Crowdworker zu dieser Frage geklagt hat, aber mittlerweile Tausende so Geld verdienen – Tendenz steigend. Weil die Frage nach dem Arbeitsverhältnis daher von substanzieller Bedeutung ist, liess das Gericht eine Revision zu. Die nächste Instanz wartet bereits, Anfang Dezember findet die mündliche Verhandlung beim Bundesarbeitsgericht statt. Es könnte der nächste Blitzschlag sein.


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