Deutscher Gewerkschaftsbund

15.07.2010

Finanzkrise: Verfehlte deutsche Gründlichkeit

Die Bundesregierung begeht einen schweren Fehler, wenn sie sich auf die Lösung der vermeintlichen Schuldenkrise konzentriert. Das wahre Problem ist, dass die Finankrise andauert.

Von Claus Matecki

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist noch nicht vorbei, auch wenn Frau Merkel sie für beendet erklärt, auch wenn Bundesregierung, neoliberale Ökonomenzunft und konservative Blätter lieber von der Schuldenkrise reden.

Doch der Schein trügt. Weltweit sind die Ökonomen besorgt darüber, dass sich die Wiederbelebung der Weltwirtschaft als instabil erweisen könnte. Denn es wurden weder die internationalen Finanzmärkte reguliert noch wächst die Weltwirtschaft aus eigenem Antrieb. Jederzeit können neue Risiken auf den Finanzmärkten entstehen – mit fatalen Folgen für den Rest der Wirtschaft.

Überall dort, wo gute Wachstumsraten zu verzeichnen sind, haben Regierungen mit milliardenschweren Konjunkturprogrammen das Wachstum erst in Gang gesetzt. Von einem selbsttragenden Aufschwung immer noch keine Spur. Ein Entwicklungsland wie Saudi-Arabien startet ein 400-Mrd.-Euro-Programm, um damit Bildungssystem, Infrastruktur und Zukunftsinvestitionen zu finanzieren, damit das Land gut für eine Zukunft ohne Erdöl aufgestellt ist. Die anderen Golfstaaten tun das Gleiche. Ostasiatische Länder wie Südkorea und China haben längst begriffen, dass man aus der Krise herauswachsen muss. Sie tun das Richtige für ihre Zukunft und wir sind froh, dass wir Aufträge aus diesen Ländern bekommen.
Und was wird aus unserer Zukunft? Wie beenden wir die untragbaren Zustände in Bildung, Infrastruktur, öffentlicher Daseinsfürsorge und die immer sichtbarere soziale Schieflage? Wie beenden wir im echten Leben und nicht in Fernseh-Ansprachen die Zockerei der Finanzjongleure?

Diese Fragen beschäftigen die Regierung nicht. Die dringend erforderliche Regulierung der Finanzmärkte und eine Kostenanlastung nach dem Verursacherprinzip, die Umkehrung der Umverteilung von unten nach oben und der Abbau der Ungleichgewichte – innerhalb der EU und global – werden zugunsten des Sparens auf die lange Bank geschoben. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik reduziert sich auf das „solide“ Haushalten unter der Bedingung einer Schuldenbremse. Man tut das, was man am Besten zu können glaubt: Politik nach Kassenlage, Sozialkürzungen statt Zukunftsinvestitionen.
Aber: Ohne Investitionen wird es kein Wachstum, keine Jobs und kein Einkommen geben. Alles Sparen hilft nichts, wenn die Menschen immer weniger verdienen. Dann fehlt ihr Konsum, um für Wachstum, neue Arbeitsplätze und kräftige Steuereinnahmen zu sorgen. Umso mehr, wenn sich der Staat ebenfalls einer Zwangsdiät bis hin zur fiskalischen Magersucht verschreibt. Die Bundesregierung will sich, aber auch uns alle, zur schwäbischen Hausfrau umerziehen. Bescheidenheit als Tugend sollen alle praktizieren – nach dem Vorbild der Regierung. Dass der ganze Wirtschaftskreislauf zusammenbricht, wenn alle sparen und nicht konsumieren, leuchtet ihr nicht ein.

Damit nicht genug: Das Sparpaket der Bundesregierung startet faktisch einen Raubzug bei den Ärmsten der Armen, um Wohltaten für die Wohlhabenden, Reichen und Finanzjongleure in diesem Land zu finanzieren. Sie will ausgerechnet bei denen das Geld für die Rettung der Zocker holen, die Opfer der Krise geworden sind. Ausgerechnet bei denen, die am wenigsten am Reichtum dieses Landes teilhaben. Dafür werden Privilegien für Hoteliers, Bankmanager, Vermögende und reiche Erben gewährt. So verkommt die Bundesregierung zusehends zum Anwalt dieser Klientel und verstärkt eine der wesentlichen Ursachen der Krise.

Dafür instrumentalisiert die Bundesregierung nicht nur die wegen der Krise aufgenommenen Schulden. Schlimmer noch: Der Anstieg der Staatsverschuldung wird nicht als eine Folge, sondern als Ursache der Krise in Deutschland und in Europa uminterpretiert. „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“ folgt dem „Die Griechen haben in Saus und Braus gelebt“.

Damit wird der Anstieg der Staatsverschuldung unabhängig von der Krise als ein strukturelles Problem dargestellt, das man ein für allemal und mit der deutschen Gründlichkeit einer Schuldenbremse bekämpft. Am besten übernimmt die Weltgemeinschaft unsere Schuldenbremse, damit das Wachstum auf vermeintlich solide Füße gestellt wird.

Nun soll der Stabilitätspakt ganz im Sinne der deutschen Schuldenbremse umgeschrieben, ja verschärft werden. Nicht nur Griechen und Spanier sollen sparen, sondern allen Eurostaaten wird empfohlen, bis 2016 die Haushaltsdefizite gegen null zu fahren. Und wenn ein Land sich nicht daran hält, muss es mit Sanktionen rechnen. Dass von den harten Kriterien in erster Linie die leistungsschwachen Euroländer betroffen wären, obwohl sie Unterstützung statt Strafen benötigen, ist den deutschen Sparkommissaren gleich.

Aber die Bundesregierung versucht nicht nur der Euro-Zone die Marschroute zu diktieren. Nach den Beschlüssen des G20-Gipfels in Toronto scheint auch die Welt die deutsche Logik des Sparens verstanden zu haben. Die schwäbische Tugend erreicht zumindest formal die Weltwirtschaft. Nun sollen die stärksten Industrienationen ihre Schulden bis 2013 halbieren. Für die Euro-Zone bedeutet das 300 Mrd. Euro weniger Ausgaben bis 2013. Staatliche Enthaltsamkeit statt Konjunkturprogramme soll Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. So nannten unsere Torontorianer den ganzen Unsinn „wachstumsfreundliche Konsolidierung“. Es klingt nach Merkel und Westerwelle. Wenigstens sind diese Absichtserklärungen unverbindlich.

Der Beitrag ist erschienen in der Financial Times Deutschland, 15.07.2010.


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