Deutscher Gewerkschaftsbund

23.11.2018
3. Betriebsrätekonferenz Leiharbeit

Gute Arbeit in der Leiharbeit: Das muss passieren

Regelungen gegen Missbrauch reichen nicht aus

Weniger Missbrauch, mehr Transparenz: Mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) wollte die Große Koalition die Bedingungen in der Leiharbeit verbessern. Richtig gut geklappt hat das nicht. Woran liegt das? Und was muss sich ändern? Darüber hat der DGB mit Betriebsräten und Politkern auf einer Tagung in Berlin diskutiert.

Junge Arbeiterin in einer Fabrik

DGB/Katarzyna Białasiewicz/123rf.com

Leiharbeit ist längst kein Randphänomen mehr. Laut Bundesagentur für Arbeit waren 2017 in Deutschland 1,03 Millionen Menschen als Leiharbeiterin oder Leiharbeiter beschäftigt. Das sind 41.000 mehr als im Jahr zuvor – und 40 Prozent mehr als noch vor 10 Jahren.

Idee gut, Umsetzung mangelhaft

Die Idee, die hinter der Leiharbeit steckt, ist im Grunde sinnvoll: Unternehmen soll sie die Möglichkeit geben, vorübergehende Personalengpässe oder Auftragsspitzen durch den Einsatz externer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzufangen. Diese wiederum sollen durch die Leiharbeit (wieder) in den ersten Arbeitsmarkt einsteigen können und im Idealfall eine Festanstellung bei dem Unternehmen, bei dem sie eingesetzt werden, erhalten.

Doch die Realität sieht anders aus. Der Übergang in ein festes Arbeitsverhältnis bei einem Einsatzunternehmen gelingt nur selten, viele Beschäftigte in der Leiharbeit sind nach kurzer Zeit wieder arbeitslos. Und statt nur vorübergehend auf Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter zurückzugreifen, setzen viele Unternehmen sie dauerhaft ein.

Leiharbeit ersetzt Stammarbeitsplätze

Laut einer aktuellen Umfrage der IG Metall nutzen rund 80 Prozent der Betriebe der Metall- und Elektroindustrie, der Holz- und Kunststoff verarbeitenden Industrie sowie der Textilindustrie Leiharbeit oder vergeben Aufträge über sogenannte Werkverträge an Fremdfirmen. Mehr als ein Viertel der befragten Betriebsräte sagt außerdem, dass ihr Arbeitgeber auch dauerhafte Stammarbeitsplätze durch Leiharbeit und Fremdvergabe ersetzt. Dieser Trend wird nach Einschätzung von Experten auch in Zukunft anhalten.

In den letzten 10 Jahren wuchs die Zahl der LeiharbeiterInnen um 40 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg ihre Zahl um 41.000 auf 1,03 Millionen.

In den letzten 10 Jahren wuchs die Zahl der LeiharbeiterInnen um 40 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg ihre Zahl um 41.000 auf 1,03 Millionen. Quelle: Bundesagentur für Arbeit, DGB

DGB klartext 35/2018: Leiharbeit - zwischen atypisch und normal

Neue Regelungen seit 2017

Dabei wollte der Gesetzgeber genau diese Formen des Missbrauchs unterbinden. 2016 hat er das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) reformiert, seit April 2017 sind die Regelungen in Kraft. Danach haben Leiharbeiterinnen und Leiharbeitnehmer das Recht, nach neun Monaten im Einsatzbetrieb genauso bezahlt zu werden wie die Stammbelegschaft (Equal Pay). Außerdem wurde die maximale Zeit, die eine Leiharbeiterin oder ein Leiharbeiter in einem Betrieb eingesetzt werden darf, auf 18 Monate begrenzt (Höchstüberlassungsdauer).

Reformen greifen nicht

Geändert hat sich seit der Reform nicht viel. Das zeigen die oben genannten Zahlen der IG Metall, das bestätigen Experten und Beschäftigte auf der 3. Betriebsrätekonferenz Leiharbeit Mitte November in Berlin. Dort wurden unter anderem folgende Probleme diskutiert:

  • Höchstüberlassungsdauer

    Im aktuellen Gesetz bezieht sich die Höchstüberlassungsdauer nur auf den konkreten Leiharbeitenden. So können Unternehmen einzelne Personen gegen einen anderen Leihbeschäftigten austauschen oder dieselben nach drei Monaten Karenzzeit erneut einsetzen. Um diesen Drehtüreffekt zu vermeiden wäre es sinnvoller, Höchstüberlassungszeiten für Arbeitsplätze festzulegen, nicht für einzelne Arbeitskräfte.

  • Equal Pay

    Gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaft: Das klingt erstmal gut - scheitert jedoch oft an fehlender Transparenz. Oft wissen der oder die einzelnen Beschäftigten gar nicht, was die Kolleginnen und Kollegen im Einsatzbetrieb verdienen, welche Zuschläge oder Sonderzahlungen sie bekommen. Das liegt auch daran, dass nur sehr wenige Unternehmen in der Leiharbeitsbranche einen Betriebsrat haben, der die Beschäftigten dabei unterstützen könnte, ihre Rechte durchzusetzen.

  • Arbeitsbedingungen

    Klar ist: Die Gewerkschaften haben in den letzten Jahren viel erreicht. Gute Branchentarifverträge und Betriebsvereinbarungen sichern den Beschäftigten in der Leiharbeit mehr Geld, bessere Arbeitsbedingungen und Chancen auf Übernahme. Trotzdem sind die Bedingungen, zu denen sie arbeiten, meistens deutlich schlechter als die der Stambelegschaft im Einsatzbetrieb - obwohl sie ein und dieselbe Tätigkeit ausüben.

    Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter sind häufig kürzer beschäftigt und in niedrigere Entgeltgruppen eingruppiert, es gibt weniger Betriebsräte und damit Mitbestimmungsmöglichkeiten als in anderen Branchen. Auch die Arbeitsentgelte liegen deutlich unter dem Durchschnitt. Auf der anderen Seite wird von den Beschäftigten ein hohes Maß an Flexibilität verlangt, sowohl im Hinbllick auf die Arbeitszeit als auch auf den Einsatzort. Das führt zu Stress, Unzufriedenheit und einem im Schnitt deutlich höheren Krankenstand als bei anderen Beschäftigtengruppen.

    Portrait Stefan Körzell

    DGB/Simone M. Neumann

    Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied

    "Wir werden deshalb auch weiterhin durch unsere Tarifverträge die konkreten Arbeitsbedingungen verbessern. Wer hätte denn noch vor 5 Jahren daran geglaubt, dass wir nicht nur eine Angleichung der Löhne Ost/West, sondern auch noch eine deutliche Abgrenzung zum Mindestlohn in den unteren Gruppen erreichen? Das ist der Erfolg der Kolleginnen und Kollegen in der Leiharbeit und von niemand anderem."

Das fordert der DGB

Was muss also passieren, damit sich die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in der Leiharbeit verbessern und Missbrauch wirkungsvoll verhindert wird? Der DGB hat dazu konkrete Forderungen formuliert.

  • Die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten muss sich auf den Arbeitsplatz beziehen, nicht auf den konkreten Leihrabeitnehmenden. So können Drehtüreffekte verhindert werden.
  • Mehr betriebliche Mitbestimmung: Betriebsräte dürfen nicht länger die Ausnahme sein, sie müssen zur Regel werden. Es gibt zahlreiche Untersuchungen darüber, dass es in Betrieben mit Betriebsrat weniger Missstände und eine höhere Arbeitszufriedenheit gibt.
  • Der Betriebsrat muss ein Mitbestimmungrecht bei der Fremdvergabe von Aufgaben haben.
  • Für Arbeitgeber, die Leiharbeiter verleihen wollen, muss es eine Auskunfts- und Unterweisungspflicht geben.
  • Die Strafen bei Missbrauch von Leihrabeit und Werkverträgen müssen deutlich verschärft werden.
  • Gewerkschaften brauchen ein Verbandsklagerecht, um geltendes Recht effektiv durchzusetzen.
  • Unternehmen, die sich nicht an nationale Standards halten, sollen in ein öffentliches, europaweites Register eingetragen werden.
Die Position der Parteien

Und was sagt die Politik dazu? Auch darüber wurde auf der 3. Betriebsrätekonferenz diskutiert, mit Bundestagsabgeordneten von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke.

Daniela Kolbe (SPD) berichtet von eigenen Erfahrungen in Sachsen. Mit der Ansiedelung von BMW in Leipzig habe man problematische "Modelle von Leiharbeit und Werkverträgen miteingekauft"; zum Teil würden Arbeiten zu 100 Prozent von externen Beschäftigten übernommen - "und zwar nicht wegen der Flexibilität, sondern um Lohnkosten zu drücken". Das beste Mittel dagegen sei "Equal Pay" vom ersten Tag an. Außerdem müssen Betriebsräte gestärkt werden, da sie eine große Rolle bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen spielten.

Eine ähnliche Auffassung vertritt Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen). Damit Leiharbeit wirklich fair werde, reiche Equal Pay ab Tag Eins jedoch nicht aus: Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sollten zusätzlich eine Flexibilitätsprämie bekommen. So soll Leiharbeit teurer - und damit für Unternehmen unattraktiver - und gleichzeitig die Interessen der Beschäftigten berücksichtigt werden. Die bisherigen Reformen hätten an den bestehenden Problemen nichts geändert.

Auch Jutta Krellmann (Die Linke) kritisiert, dass die Reform des AÜG "nicht wirklich etwas gebracht" habe; man müsse sich nochmal mit dem Thema beschäftigen. Um Verstöße und Missbrauch wirkungsvoll zu ahnden, sei ein Verbandsklagerecht nötig.

Thomas Heilmann (CDU) schließt sich der Forderung nach einem Verbandsklagerecht an, lehnt aber "Equal Pay vom ersten Tag an" ab, da Leiharbeit "ja als Brücke aus der Arbeitslosigkeit" fungieren solle. Außerdem müsse man bei der Diskussion um die Leiharbeit berücksichtigen, dass die Arbeitswelt und die Arbeitsmodelle immer komplexer und unübersichtlicher werden. Hochbezahlte Projetarbeiter, zum Beispiel im Bereich IT, hätten sich bewusst für das Arbeiten in wechselnden Unternehmen entschieden. Statt weiterer Reformen sei es möglicherweise sinnvoller, ein komplett neues System zu etablieren.

Johannes Vogel (FDP) weist ebenfalls auf die sich wechselnde Bedürfnisse und den Wunsch vieler Menschen nach Projektarbeit hin. Er hält die Reformen in Teilen für gut; es müsse jedoch "zusätzliche Informationspflichten" geben. Equal Pay ab dem ersten Tag lehnt er ab, eine Höchstüberlassungsdauer sei "sinnlos".

Zitat Stefan Körzell: „Für Unternehmen, die nationale Arbeits- und Sozialstandards umgehen, sollte es ein öffentliches europaweites Register geben. Diese Firmen sollten an den Pranger gestellt werden und dann auch keine staatlichen Aufträge mehr bekommen können.“

DGB


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