Vor Ostern hat die künftige Bundesregierung ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Darin werden zentrale Vorhaben der kommenden Legislatur skizziert. Zu lesen ist darin auch: "Unser Ziel ist eine höhere Tarifbindung. Tariflöhne müssen wieder die Regel werden und dürfen nicht die Ausnahme bleiben" – dieses Bekenntnis zur Tarifwende begrüßt der DGB ausdrücklich. Denn Tarifverträge mit guten Arbeitsbedingungen und fairen Löhnen sind der Schlüssel, um ausreichend Fachkräfte zu gewinnen, die unsere Schulen mit Leben füllen, Kranke pflegen und versorgen, unsere Brücken sanieren und bauen sowie den klimagerechten Umbau des Landes voranbringen.
Doch die Realität ist ernüchternd: Immer mehr Arbeitgeber stehlen sich aus der Verantwortung. Im Jahr 2024 liegt die Tarifbindung in Deutschland bei nur noch 49 Prozent – ein historischer Tiefstand. Immer weniger Beschäftigte profitieren somit von Tarifverträgen. Das ist nicht nur ein Problem für die Löhne, denn Beschäftigte ohne Tarifvertrag verdienen im Schnitt 11 Prozent weniger als Beschäftigte mit Tarifvertrag, sondern auch für den sozialen Zusammenhalt.
Der Koalitionsvertrag setzt an dieser Stelle wichtige Impulse. Besonders das geplante Bundestariftreuegesetz ist ein Schritt in die richtige Richtung – und zwar ein überfälliger. Öffentliche Aufträge sollen künftig nur noch an Unternehmen gehen, die sich an Tarifverträge halten. Das ist ein starkes Signal, insbesondere im Niedriglohnbereich, wo Dumpinglöhne leider noch immer Realität sind. Damit kann der Staat seine Vorbildfunktion endlich ernst nehmen.
Aber: Die geplante Minimierung von Nachweispflichten und Kontrollen ist ein ernstzunehmendes Problem. Tariftreue darf kein Papiertiger sein! Ohne wirksame Kontrolle besteht die Gefahr, dass das Gesetz ins Leere läuft. Hier werden wir als DGB ganz genau hinschauen und auf eine konsequente Umsetzung drängen.
Was ebenfalls fehlt, ist die konsequente Verknüpfung von staatlichen Fördermitteln an die Einhaltung von Tarifverträgen. Wer öffentliche Gelder will, muss faire Bedingungen bieten – so einfach ist das. Auch ein klares Bekenntnis zur Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen sucht man im Koalitionsvertrag vergeblich. Dabei ist das ein zentraler Hebel, um Tarifflucht zu stoppen.
Positiv hervorzuheben ist die geplante steuerliche Förderung der Gewerkschaftsmitgliedschaft. Das ist nicht nur eine Wertschätzung gewerkschaftlichen Engagements, sondern macht die Mitgliedschaft für viele Beschäftigte noch attraktiver. Und: Das längst überfällige digitale Zugangsrecht für Gewerkschaften in Betrieben soll endlich kommen. Eine praxisnahe Ausgestaltung muss klarstellen, dass dafür die im Betrieb üblicherweise genutzten elektronischen Kommunikationsmedien (z. B. Intranet, E-Mail) genutzt werden können.
Nicht zuletzt sind die Vorhaben zur Stärkung der Tarifbindung ein wichtiger Beitrag zur Umsetzung der EU-Mindestlohnrichtlinie, die klare Vorgaben für Mitgliedstaaten mit einer Tarifbindung unter 80 Prozent macht. Deutschland hat deutlichen Nachholbedarf – und muss bis Ende 2025 einen Aktionsplan liefern.
Unser Fazit: Der Koalitionsvertrag enthält hierfür gute Ansätze – doch entscheidend ist die Umsetzung. Damit wieder mehr Beschäftigte von starken Tarifverträgen profitieren und die Ankündigungen im Koalitionsvertrag nicht nur reine Lippenbekenntnisse bleiben.