Die Bundesregierung plant, eine Tariftreueregelung für Auftragsvergaben des Bundes einzuführen. Die Vergabetagung am 20.09.2022 in Berlin informierte über den Stand der politischen Diskussion auf Bundesebene, vorhandene Erfahrungen mit der Tariftreue in den Bundesländern und die Situation in ausgewählten Branchen.
DGB/FES
Seit 2017 richten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) jährlich den Fokus auf das Thema Vergaberecht. Dessen immense Hebelwirkung für gute Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne ist bekannt und hat daher mittlerweile sowohl auf europarechtlicher Ebene (Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU) als auch auf Ebene des Bundes (reformiertes Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) wie auch mancher Länder (Tariftreuegesetze im Saarland, Thüringen und Berlin) Niederschlag gefunden.
Nun möchte die neue Ampelkoalition noch eine Schippe drauflegen. So ist im Koalitionsvertrag eine Tariftreueregelung für die Auftragsvergabe durch den Bund als Vorhaben verankert.
Vor diesem Hintergrund laden wir Sie herzlich ein, sich bei unserer diesjährigen Präsenzveranstaltung über den aktuellen Stand der politischen Diskussion auf Bundesebene zu informieren und einen genaueren Einblick in die bereits vorhandenen Erfahrungen auf Landesebene zu gewinnen. Drei parallele Foren bieten Ihnen außerdem Gelegenheit, aktuelle Entwicklungen und praktische Herausforderungen der Vergabe anhand sozialer Kriterien in den Bereichen Automobilbeschaffung, Nahverkehr und Bau mit unseren Referentinnen und Referenten zu diskutieren.
Das Programm zum Download:
In seiner Begrüßung stellt Stefan Körzell, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes im DGB, fest: „Der Staat darf kein Lohndumping betreiben“. Mittlerweile habe die Politik dies erkannt. Der DGB begrüße daher die im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition in Aussicht gestellte Tariftreueregelung für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen des Bundes.
Die Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Gelder ist für den DGB ein wichtiges Instrument: Angesichts der gestiegenen Inflation, Kaufkraftverlusten und der dramatisch gesunkenen Tarifbindung muss das Tarifsystem dringend gestärkt werden. Wenn Aufträge nur an Unternehmen gehen, die Tarifverträge einhalten, stärkt das geltende Tarifverträge. Gleichzeitig werden Arbeitsstandards der Branche gesichert, den Unternehmen ein fairer Wettbewerb um Aufträge garantiert und die Qualität bei der Auftragsausführung gesteigert.
Stefan Körzell machte die Anforderungen des DGB an eine Bundestariftreueregelung deutlich: Der für die Branche maßgebliche Tarifvertrag müsse in seiner Gesamtheit anzuwenden sein und es brauche effektive Kontrollen und Sanktionen zum Schutz der Beschäftigten. Durch den Ausbau der Präqualifizierung von tarifgebundenen Unternehmen könnten bereits im Vorfeld Vergabeverfahren vereinfacht werden. Angesichts der großen sozialpolitischen Herausforderungen setzt der DGB darauf, dass eine Bundestariftreueregelung nun zügig kommt.
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell begrüßt die Teilnehmer*innen. DGB/Marc-Steffen Unger
Dr. Philipp Steinberg, Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Dr. Philipp Steinberg, Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, bekräftigte in seinem Vortrag die Relevanz des Themas Tariftreue bei Vergaben des Bundes für das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) als Teil eines modernen Ordnungsrahmens und berichtete über die Planungen des BMWK. Wettbewerb sei kein Wert an sich, sondern müssen den Menschen dienen. Die Tariftreue und die Bedürfnisse öffentlicher Auftraggeber spielten aus Sicht des Ministeriums zugleich eine große Rolle bei der Transformation der deutschen Wirtschaft.
Einig sei man sich mit dem DGB bei der Einschätzung, dass die Tariftreue rechtlich möglich sei und branchenübergreifend gelten solle. Das BMWK arbeite derzeit an einer Vergabestatistik. Auf die Fragen, wie die Tariftreue rechtssicher umgesetzt werden könnte, werde man konstruktiv zusammenarbeiten und gemeinsam Lösungen finden.
Dr. Philipp Steinberg, Abteilungsleiter Wirtschaftspolitik, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. DGB/Marc-Steffen Unger
Prof. Dr. Thorsten Schulten, Leiter WSI-Tarifarchiv in der Hans-Böckler-Stiftung
Prof. Dr. Thorsten Schulten gab in seiner Präsentation einen Überblick über die rechtliche Entwicklung von Tariftreueregelungen in den Bundesländern und den aktuellen Stand ihrer Umsetzungen.
Die Präsentation kann hier eingesehen werden:
Der Leiter der DGB-Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik Florian Moritz (l.) zusammen mit Prof. Dr. Thorsten Schulten. DGB/Marc-Steffen Unger
Kerstin Geginat, Referatsleiterin Arbeits- und Tarifrecht, Prüfbehörde Tariftreue im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit Saarland
Alexandra Brinkmann, Referatsleiterin Arbeitsrecht und tarifliche Gestaltung der Arbeit bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Berlin
Kerstin Geginat (Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit Saarland) und Alexandra Brinkmann (Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales Berlin) berichten von den ersten Erfahrungen der Umsetzung der Tariftreueregelungen aus dem Saarland und aus Berlin.
Beide Modelle unterscheiden sich in der Art, wie auf die einzuhaltenden Tarifverträge Bezug genommen wird: Im Saarland werden die vergaberelevanten tarifvertraglichen Inhalte per Rechtsverordnungen festgelegt. Das Berliner Modell sieht die direkte Bezugnahme auf die anzuwendenden Tarifverträge vor, was den Aufbau eines Tarif-Online-Registers erforderte.
Kerstin Geginat, Referatsleiterin Arbeits- und Tarifrecht, Prüfbehörde Tariftreue im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Gesundheit Saarland. DGB/Marc-Steffen Unger
Alexandra Brinkmann, Referatsleiterin Arbeitsrecht und tarifliche Gestaltung der Arbeit bei der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. DGB/Marc-Steffen Unger
Sabrina Klaus-Schelletter, DGB Berlin-Brandenburg, Marc Ferder, DGB Rheinland-Pfalz / Saarland
Marc Ferder (DGB Rheinland-Pfalz / Saarland) und Sabrina Klaus-Schelletter (DGB Berlin-Brandenburg) nahmen aus gewerkschaftlicher Sicht Stellung zur Umsetzung der Tariftreue im Saarland und in Berlin. Die Erfahrungen zeigten, dass die Umsetzung der Tariftreue möglich sei und dass für die jeweiligen Kontexte der Länder gute Lösungen gefunden werden konnten. Wichtig für die Durchsetzung der Regelungen seien effektive Kontrollen, die Einrichtung von Prüfbehörden und Beschwerdestellen. Beide Länder böten einen Erfahrungsschatz, der auch für die Umsetzung der Tariftreue im Bund und in weiteren Ländern hilfreich sei.
Sabrina Klaus-Schelletter vom DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg. DGB/Marc-Steffen Unger
Marc Ferder vom DGB Rheinland-Pfalz / Saarland. DGB/Marc-Steffen Unger
In drei parallel stattfindenden Foren diskutierten die Teilnehmenden aktuelle Fragen aus der nachhaltigen Automobilbeschaffung, dem Nahverkehr und dem Baugewerbe.
Dr. Peter Pawlicki von Electronics Watch, Kathrin Schäfers von der IG Metall und Dr. Verena Kröss von WEED e. V. nahmen die Rolle der öffentlichen Hand und der Betriebsräte bei der nachhaltigen Automobilbeschaffung in den Blick.
(v.l.n.r). Dr. Peter Pawlicki von Electronics Watch, Dr. Verena Kröss von WEED e. V. und Kathrin Schäfers von der IG Metall. DGB/Marc-Steffen Unger
Matthias Pippert (EVG), Andreas Schackert (ver.di), Lothar Schuster (Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz) widmeten sich im Panel zum Verkehrsbereich aktuellen Fragen zum Personalübergang, zur Tariftreue und zu Vergaben im Nahverkehr. Moderiert wurde das Forum von Christian Gebhardt (mobifair e. V.).
(v.l.n.r.) Lothar Schuster (Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz), Christian Gebhardt (mobifair e. V.), Matthias Pippert (EVG) und Andreas Schackert (ver.di). DGB/Marc-Steffen Unger
Im Panel zum Baugewerbe stand die digitale Arbeitszeiterfassung im Fokus. Dr. Ghazaleh Nassibi (IG BAU) erläuterte die rechtlichen Implikationen des BAG-Urteils zur Arbeitszeiterfassung. Christine Heydrich von der Sozialkasse des Berliner Baugewerbes stellte anhand eines Projektes aus dem Berliner Baugewerbe vor, wie die Arbeitszeit mit digitalen Möglichkeiten zuverlässig erfasst werden kann. Die Moderation übernahm Dr. Wolfgang Günther (DGB).
(v.l.n.r.) Christine Heydrich von der Sozialkasse des Berliner Baugewerbes und Dr. Ghazaleh Nassibi von der IG BAU mit Moderator Dr. Wolfgang Günther (DGB). DGB/Marc-Steffen Unger
Die Tagung fand in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung statt. Susan Javad (FES) dankte allen Teilnehmenden und Gästen für die anregenden Vorträge und Diskussionen. Florian Moritz vom DGB leitete durch die Veranstaltung.
Susan Javad (FES) bedankte sich bei allen Teilnehmer*innen. DGB/Marc-Steffen Unger
Florian Moritz (DGB) leitete durch die Veranstaltung. DGB/Marc-Steffen Unger
Plenumsimpressionen:
DGB/hqrloveq/123rf.com
Gewerkschaftliche Wirtschaftspolitik stellt sich der Frage, wie der gesellschaftliche Reichtum gesteigert und zum Wohl der arbeitenden Bevölkerung verteilt werden kann. Uns geht es darum, den Zuwachs an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und mehr Sozialstaat zu nutzen. Dies erfordert ein produktives Zusammenwirken von Staat und Markt. Märkte können schöpferisch sein und den gesellschaftlichen Wohlstand mehren. Märkte sind jedoch sozial und ökologisch blind. Die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise hat das destruktive Potenzial unregulierter Märkte eindrucksvoll offengelegt. Deswegen bedarf es staatlicher Regulierung, Verteilungs-, Wirtschafts-, Sozial-, sowie Industrie- und Dienstleistungspolitik, um die Marktkräfte zu zivilisieren. Die Abteilung Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik entwickelt und popularisiert wirtschaftspolitische Strategien und Instrumente, die diesen Zielen dienen.
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Abteilungsleiter Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik
Dr. Dominika Biegoń
Europäische und internationale Wirtschaftspolitik
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OECD/TUAC
Öffentliche Daseinsvorsorge
Handelspolitik
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Steuerpolitik
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Tarifpolitische Koordinierung und Mindestlohn
Dr. Maximilian Fuhrmann
Wohnungs- und Verbraucherpolitik