Die Universitäten dürfen finanzielle Zuwächse nicht nur auf ihre "Leistungsspitzen" konzentrieren. Für eine demokratische Hochschule ist die Breitenfinanzierung unabdingbar. Die vorherrschende Philosophie gehört vom Kopf auf die Füße gestellt.
Von Torsten Bultmann, Experte für Hochschule und Demokratie
Die Lösung der Problematik der Hochschulfinanzierung ist die Voraussetzung, um den Zielen einer demokratischen und sozialen Hochschulentwicklung näher zu kommen. Das ist zum einen die – von niemandem bestrittene – strukturelle Unterfinanzierung seit Jahrzehnten. Das ist zum zweiten das ebenso gravierende Problem, dass sich vor dem Hintergrund dieser Mangelwirtschaft disproportionale Fehlstrukturen und Fehlsteuerungen in der Allokation der Finanzen ergeben haben, die zu erheblichen gesellschaftlich relevanten Leistungsbeeinträchtigungen des gesamten Hochschulsystems führen. Dazu gehört etwa der Sachverhalt, dass finanzielle Zuwächse nur noch selektiv (Drittmittelförderung, Exzellenzinitiative…) auf wenige sog. ›Leistungsspitzen‹ konzentriert werden. Das mündet in die aktuell auch offen verkündete politische Absicht, vom Prinzip der grundsätzlichen Gleichwertigkeit aller Hochschulen endgültig abzurücken und zusätzliches Geld nur noch über mediengerecht spektakuläre Programme von Leistungsstipendien, Exzellenz- und Elitenförderung zu verteilen. Als zentraler Leistungsindikator einer wettbewerblichen Hochschulfinanzierung hat sich in allen einschlägigen Rankings der Umfang der eingewobenen Drittmittel für sog. Spitzenforschung durchgesetzt: im Jahre 2008 betrug deren Umfang etwa 4,85 Mrd. Euro (im Verhältnis zu 18, 43 Mrd. Grundmittel im gleichen Jahr). Innerhalb der Gesamtbudgets der Hochschulen verschob sich das Gewicht folglich immer mehr zu Gunsten der Drittmittel. Betrug das Verhältnis Grundmittel/Drittmittel 1993 noch 100:14, im Jahre 2000 dann 100:20, war die Relation 2008 bereits 100:25(+). Hinter diesem Zahlenverhältnis verbergen sich erhebliche strukturpolitische Deformationen.. Zur Absicherung ihrer eigentlichen gesetzlichen (›grundständigen‹) Aufgaben greifen die Hochschulen unter dem Druck der Knappheit einerseits zunehmend auch auf Drittmittel zurück (indem etwa wissenschaftliche Mitarbeiter aus befristeten Projektmitteln in Pflichtangeboten der Lehre eingesetzt werden.) In dem Maße schließlich, wie finanzielle Zuwächse nur in der Projektforschung erwirtschaftet werden können, befördert dies seitens der Hochschulleitungen andererseits auch eine tendenzielle Umverteilung und Konzentration der verbleibenden Grundmittel in die Infrastruktur der als ›forschungsstark‹ betrachteten Fachbereiche, um so ein für die Förderer ›attraktives‹ Umfeld zu schaffen. Das Geld fehlt dann natürlich an anderer Stelle schmerzlich, vorrangig in den Sozial- und Geisteswissenschaften, insbesondere in der Lehrer- Lehrerinnenausbildung. Die Studienbedingungen verschlechtern sich und die wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen werden zunehmend prekär. Schlimmer noch: Bemühungen, diese Bedingungen zu verbessern, ›rechnen‹ sich in allen einschlägigen Rankings und ›Wettbewerben‹ schlicht nicht.
Forderungen/Lösungen:
Die vorherrschende Philosophie, finanzielle Zuwächse nur auf wenige ›Leistungsspitzen‹ zu Lasten der Breitenfinanzierung zu konzentrieren, muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Dazu ist ein neuer politischer Minimalkonsens erforderlich, der auf folgenden Mindestvereinbarungen beruht:
Erstens muss die Grundfinanzierung der Hochschule aus öffentlichen Mittel deutlich aufgestockt werden. Diese Grundfinanzierung erfolgt grundsätzlich zuwachsorientiert in Relation zur Auslastung bzw. zur wachsenden gesellschaftlich Beanspruchung des Hochschulsystems. Dies ist auch eine zwingende Konsequenz des Übergangs zur ›Wissensgesellschaft‹, in der die relevanten gesellschaftlichen Qualifikationen zunehmend wissensintensiv und wissenschaftsbasiert sind. Allein dies erfordert einen neuen Schub an sozialer Öffnung der Hochschulen.
Zweitens: Die gesetzlichen (›grundständigen‹) Daueraufgaben der Hochschulen in Studium, Forschung und Lehre müssen durch eine kalkulierbare staatliche Grundfinanzierung (Grundmittel) abgesichert werden. Das ist die entscheidende Voraussetzung zur Sicherung eine Mindestqualität wissenschaftlicher Arbeitsverhältnisse, von der wiederum die gesellschaftliche Relevanz (›Qualität‹) der erbrachten Leistungen abhängt. Drittmittelförderung beschränkt sich auf befristete und komplementäre Projekte jenseits dieser grundständigen gesetzlichen Aufgaben.
Drittens: Die Wahrscheinlichkeit einer sinnvollen dezentralen Verteilung der Finanzmittel auf Hochschulebene steht in direkter Relation zur Stärkung der Rechte demokratisierter Selbstverwaltungsstrukturen und ist folglich ein Kriterium transparenter politischer Aushandlung zwischen denjenigen Mitgliedergruppen der Hochschule, welche die wesentlichen Prozessabläufe in Wissenschaft und Studium, auf welche sich die Entscheidungen beziehen, ohnehin gemeinsam tragen und gestalten. Dies widerspricht folglich einer sich gegenwärtig etablierenden monokratischen Exekutive an der Spitze der jeweiligen Einrichtung entsprechend dem falschen Leitbild der ›unternehmerischen Hochschule‹.
Das Leitbild "Demokratische und Soziale Hochschule“ in der Diskussion
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