Deutscher Gewerkschaftsbund

01.03.2023

"Amazon musste erstmal checken, dass wir jetzt mitreden!"

einblick März 2023

Der Digital-Riese Amazon gilt nicht gerade als Mitbestimmungs-Fan. Serdal Sardas und seinen Kolleg*innen ist es 2022 gelungen, den ersten Betriebsrat in einem Amazon-Verteilzentrum im deutschsprachigen Raum zu gründen: im niedersächsischen Wunstorf.

Amazon-Betriebsrat Serdal Sardas

Hans-Böckler-Stiftung/Gerngross+Glowinski

Bei Amazon einen Betriebsrat zu gründen, erfordert Mut. Wie ist es dazu gekommen?

Es gab nicht den einen großen Anlass, eher viele kleine Punkte, was die Arbeitsbelastung angeht oder die Arbeitssicherheit. Irgendwann war das Fass für mich voll und ich habe mich mit ein paar Kollegen zusammengetan. Wir haben uns an ver.di gewendet. Die hatten auch schon Kontakt zu anderen Kollegen und Kolleginnen, die einen Betriebsrat gründen wollten.

 

Der erste Schritt war getan. Waren die Mitarbeiter*innen dann gleich Feuer und Flamme dafür?

Wir mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, weil wir Initiatoren in Leitungspositionen tätig waren. Aber als wir die Wahlliste veröffentlicht haben, war klar, dass es um die Interessen der Worker ging, da standen nämlich hauptsächlich Sortiermitarbeiterinnen und -mitarbeiter drauf. Letztendlich sind wir bunt gemischt: Neun Betriebsrätinnen und Betriebsräte sprechen insgesamt neun Sprachen. Unser Wahlausschreiben hatten wir sogar in elf Sprachen übersetzt.

 

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Man hört ja immer wieder, dass Betriebsratsgründungen verhindert werden – wie war das bei Euch?

Viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben befristete Verträge – die haben wir erstmal aus der Schusslinie genommen, indem wir ihre Namen bis zur Bestellung des Wahlvorstandes geheim gehalten haben. Aber ich habe immer wieder gesehen, dass man versucht hat, die Arbeitszeiten zu tracken, um den Kolleginnen und Kollegen mögliche Verstöße anzuhängen. Mir wurde berichtet, dass nach einer Versammlung von uns Mitarbeiter abgefangen und unsere Flyer abfotografiert wurden. Viele der Beschäftigten bei uns haben Geflüchteten-Background, das heißt: Für die ist so etwas ziemlich einschüchternd.

 

Und dann wurde gewählt. Wie ging es seitdem weiter?

Nach der Wahl gab es gleich einen Tiefpunkt – der Vertrag eines Kollegen im Betriebsrat sollte nicht verlängert werden. Dabei stand vor der Wahl noch eine Beförderung für ihn im Raum. Da mussten wir gleich unseren ersten Kampf führen. Wir haben dann alle Vorgänge blockiert, bei denen der Betriebsrat zustimmen oder angehört werden muss, bis sein Vertrag verlängert wurde. Bei den Beschäftigten kam das sehr gut an, die haben gesehen, dass wir uns richtig reinhängen.

 

„Euch reinhängen“ – das tut ihr jetzt seit neun Monaten. Welche Ziele wollt ihr erreichen?

Wir wollen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Stimme geben. Bei uns sind viele in Leiharbeit oder befristet beschäftigt. Die halten sich natürlich zurück, wenn der Vorgesetzte Überstunden oder eine Sechs-Tage-Woche fordert. Bei vielen Kollegen hängt an dem Job auch der Aufenthaltstitel, die trauen sich dann nicht, sich dagegen zu wehren. Wir streben an, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt bei Amazon angestellt sind, ohne Leiharbeit und entfristet. Mir ist es auch ein Anliegen, dass Amazon die Menschen fördert – zum Beispiel mit Sprachkursen, damit sie richtig in Deutschland ankommen können. Auch dass die Auslieferung an Subunternehmen vergeben wird, halte ich für falsch. Amazon sollte direkt ausliefern und die Verantwortung für die Fahrerinnen und Fahrer übernehmen. Was die Arbeitsunfälle angeht, sind wir inzwischen eines der sichersten Amazon-Zentren. Vorher lief es nicht so gut.

 

Hand aufs Herz: Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber?

Sie wird langsam besser, ist aber noch nicht zufriedenstellend. Viele Ansagen zu Geräten, die eingesetzt werden, oder die strategische Planung kommen direkt aus den USA. Amazon musste erstmal checken, dass wir jetzt mitreden bei den Tools und Prozessen, die mitbestimmungspflichtig sind. Inzwischen steht auf den Anweisungen: „gilt für alle Standorte, außer Wunstorf“, weil sie wissen, dass der Betriebsrat erst zustimmen muss.


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