Verschiedene Arbeitgeber vertreten die Position: Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aufgrund der Corona-Krise in Kurzarbeit sind, kann der Anspruch auf Erholungsurlaub gekürzt werden. Im Klartext: Weniger Urlaubstage wegen Kurzarbeit. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften widersprechen. Die wichtigsten Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
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Die Arbeitgeber berufen sich bei ihrer Position, dass Urlaubskürzung aufgrund der Kurzarbeit zulässig seien, auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Tatsächlich gibt es Urteile des EuGH, die besagen, dass eine Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Kurzarbeit nicht gegen europäisches Recht verstoße.
In einer rechtlichen Bewertung (Download weiter unten) sagen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsgewerkschaften: Die Argumentation und die Grundsätze, die der EuGH in den entsprechenden Urteilen nennt, lassen sich auf "Fälle konjunkturbedingter Kurzarbeit", wie sie aufgrund der Corona-Krise derzeit in Deutschland vorherrschen, nicht übertragen. Außerdem habe der Europäische Gerichtshof lediglich "Mindestvorgaben" definiert. Die EU-Mitgliedstaaten können von diesen "Mindestvorgaben" zugunsten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern abweichen. Das hat der EuGH in Bezug auf die Urlaubsansprüche bei Kurzarbeit ausdrücklich bestätigt.
Hier kommen DGB und Gewerkschaften in ihrer Bewertung zu dem Schluss: Dem Bundesurlaubsgesetz lässt sich nicht entnehmen, dass eine Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Kurzarbeit zulässig ist.
"Nach Überzeugung des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften sind Arbeitgeber nicht berechtigt, den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch aufgrund der konjunkturbedingten Kurzarbeit zu kürzen, wie es aus Anlass der Corona-Krise vermehrt aufgetreten ist", heißt es in der Bewertung von DGB und Gewerkschaften. Diese Kürzungsmöglichkeit sei "weder dem deutschen Urlaubsrecht noch der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu entnehmen". Der EuGH entwickelte seine Rechtsprechung zur Berechnung von Urlaubsansprüchen bei Kurzarbeit auf Grundlage einer "Sonderkonstellation" mit einer von vornherein planbaren und frei gestaltbaren Freistellung. Die Planbarkeit und freie Zeitgestaltung sind bei der konjunkturbedingten Kurzarbeit während der Corona-Krise in der Regel aber nicht gegeben und die Grundsätze des EuGH somit nicht übertragbar.
Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften vertreten die Auffassung, dass der Anspruch auf den Erholungsurlaub während der Kurzarbeit in vollem Umfang entsteht und ungekürzt fortbesteht.
Was den Verfall des Urlaubsanspruchs von KurzarbeiterInnen betrifft, kommen hier, wie bei Urlaubsansprüchen sonstiger Beschäftigten, die vom EuGH (Urt. v. 06.11.2018, Az. C-684/16) entwickelten und vom BAG (Urt. v. 19.02.2019, 9 AZR 541/15) übernommenen Grundsätze zur Anwendung. Das bedeutet, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Jahresurlaub nur dann automatisch am Ende Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BurlG) bzw. des Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 und 4 BurlG) erlischt, wenn der/die ArbeitnehmerIn tatsächlich in der Lage war, seinen/ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dies ist nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den/die ArbeitnehmerIn erforderlichenfalls sogar dazu auffordert, den Urlaub zu nehmen und ihm(ihr mitteilt, dass der nicht genommene Urlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. des zulässigen Übertragungszeitraums verfallen wird. Fordert der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht konkret dazu auf, den Urlaub zu nehmen und weist er ihn nicht klar und rechtzeitig darauf hin, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt, bleibt der Urlaubsanaspruch auch im Folgejahr bestehen und tritt zu dem Urlaubsanspruch des Folgejahres hinzu.
Auch hinsichtlich Mitwirkung des Arbeitgebers bei der Gewährung des tariflichen Mehrurlaubs hat das BAG Maßstäbe entwickelt, die bei Kurzarbeit anwendbar sind. Es steht zwar den Tarifvertragsparteien frei zu vereinbaren, dass der tariflich Mehrurlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraums unabhängig von einem entsprechenden Hinweis des Arbeitsgebers verfällt. Wenn jedoch keine deutlichen Anhaltspunkte erkennbar sind, dass die Tarifvertragsparteien eine diesbezügliche, von den gesetzlichen Bestimmungen abweichende Regelung treffen wollten, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen (BAG Urt. v. 19.02.2019, 9 AZR 541/15, Rn. 35 -36). In diesem Fall bleibt es daher bei dem Grundsatz, dass der Arbeitgeber die Beschäftigten auffordern muss, den Urlaub zu nehmen. Unterlässt er dies, verfallen auch die tariflichen Mehrurlaubsansprüche der KurzarbeiterInnen nicht zum Ende des Kalenderjahres (bzw. des Übertragungszeitraums), sondern bestehen im folgenden Kalenderjahr – kumulativ zu den Urlaubsansprüchen des neuen Kalenderjahres - fort.
DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel DGB/Simone M. Neumann
"Urlaub ist zur Erholung da und darf in Zeiten der Kurzarbeit keinesfalls zusammengestrichen werden. Kurzarbeit ist schließlich nicht vergleichbar mit Teilzeitarbeit oder einem Sabbatical, bei dem Beschäftigte die frei gewordene Zeit auch nutzen können", sagt DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Ganz im Gegenteil: "Der Arbeitgeber darf die Kurzarbeit vorzeitig und kurzfristig beenden, etwa wenn er einen neuen Auftrag erhält. Das unterliegt nicht einmal der Mitbestimmung durch den Betriebsrat. Wer in Kurzarbeit ist, muss außerdem seinen Verpflichtungen gegenüber der Bundesagentur für Arbeit nachkommen - zum Beispiel, sich persönlich bei der Agentur für Arbeit zu melden oder kurzfristig andere vermittelte Arbeit anzunehmen. Wer das nicht tut, muss mit Sanktionen bis hin zur Kurzarbeitergeld-Sperre rechnen. Das ist wirklich alles andere als freie Zeitgestaltung."
"Arbeitgeber sind nicht berechtigt, den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch aufgrund der konjunkturbedingten Kurzarbeit zu kürzen. Das würde zudem den Betriebsfrieden erheblich stören", so Piel. "Es kann schließlich nicht sein, dass diejenigen, die ihren Jahresurlaub schon vor der Krise genommen haben, Glück hatten und alle anderen in die Röhre gucken. Das ist eine Benachteiligung und willkürlich und gilt umso mehr, da auch innerhalb eines Betriebes nicht alle Bereiche gleich von Kurzarbeit betroffen sind. Jetzt noch diejenigen mit weniger Urlaub zu bestrafen, die durch Kurzarbeit schon weniger Einkommen hinnehmen mussten, ist doppelt ungerecht."
"Mit einer Kürzung der Urlaubstage wollen die Arbeitgeber weitere Folgen der Pandemie den Arbeitnehmern zuschustern und verabschieden sich damit letztendlich aus der Solidarität", kritisiert Piel. "Die Zeiten, um die dann der Jahresurlaub gekürzt wurde, müssten nämlich über das Kurzarbeitergeld wieder aufgefangen werden. Das würde am Ende finanziell zulasten der Bundesagentur für Arbeit gehen. Das kann nicht sein."