Deutscher Gewerkschaftsbund

28.08.2019
einblick September 2019

Gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

Seit Jahren kritisieren Gewerkschaften die schlechten Arbeitsbedingungen in der Schlachtbranche. Jetzt starten sie in einer Initiative mit Kirchen und Privatpersonen durch.

Abgepacktes Fleisch in der Auslage

DGB/Iurii Sokolov/123rf.com

Irgendwann hatte Susanne Uhl, Geschäftsführerin der DGB-Region Schleswig-Holstein Nordwest, die Faxen dicke. Immer wieder hat die Gewerkschafterin an der Seite der NGG in den vergangenen Jahren die Betreiber der drei großen Schlachthöfe in Schleswig-Holstein auf Missstände angesprochen. Darauf, dass vor allem die Werkvertragsmitarbeiter, meist Rumänen, zu lange arbeiten. Dass sie nicht genug Pausen haben. Dass sie zu schlecht bezahlt werden. Dass man sie bei den Unterkünften abzockt mit viel zu hohen Mieten. „Dann hat sich immer mal wieder was kurzfristig geändert, für ein paar Wochen“, erzählt sie. „Und dann ging es wieder von vorne los.“

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Menschen miteinander ins Gespräch bringen

Also suchte sich Uhl Verbündete. Seit dem vergangenen Jahr arbeiten nun nicht mehr nur Gewerkschaften zu dem Thema, sondern auch die örtliche evangelische und katholische Kirche und Privatpersonen – und die Initiative hat im Juni bundesweit zu einem Treffen eingeladen. „Kirche ist immer vor Ort, und ein zivilgesellschaftlicher Akteur. Wenn Kirche dabei ist, verschafft das eine andere Aufmerksamkeit“, sagt Heike Riemann vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche. Man wolle Menschen miteinander ins Gespräch bringen. Riemann ist sich sicher: „Das Netzwerk wird wachsen, das ist nicht zu stoppen.“

Die Initiative gibt es, weil alle bisherigen Maßnahmen von Bundesregierung und Fleischwirtschaft laut Gewerkschaften nicht fruchteten: 2014 gab es den Verhaltenskodex, mit dem die Branche zusicherte, soziale Standards einzuhalten. 2015 verkündete der Verband der Ernährungswirtschaft die Selbstverpflichtung, in der sie versprachen, mehr Mitarbeiter direkt anzustellen statt sich auf Subunternehmer mit Werkverträgen zu verlassen. 2017 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft“, kurz GSA Fleisch.

Mehr Stellen für Kontrollbehörden

Und doch erzählen die rumänischen Mitarbeiter in Beratungsgesprächen von Tricks, wie Arbeitszeiten runtergerechnet werden können. Sie zeigen den Schmutz und die Enge in den Unterkünften und klagen über Mieten wie 300 Euro für ein Bett. „Das sind keine Einzelfälle, das hat Methode“, sagt Riemann.

Und es wird zu wenig kontrolliert. Der Zoll in Itzehoe, zuständig aber unterbesetzt, verteidigt sich: Ziel sei „nicht die Maximierung der Zahl der Kontrollen, sondern möglichst in besonders von Schwarzarbeit betroffenen Bereichen zu prüfen und die großen Betrugsfälle aufzudecken“. Und: Je umfangreicher Kontrollen ausfielen, „desto weniger Prüfungen können in Summe durchgeführt werden“. Mit anderen Worten: Wir tun, was wir können, aber mehr geht nicht. Der DGB fordert seit Jahren, dass die Stellen für Kontrollen kräftig aufgestockt werden.

Schlachtindustrie in Deutschland

DGB / einblick

Die Grafik steht zur freien Verwendung unter der Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0

Abordnung von Arbeitsschutzexperten in die Schlachthöfe

Die Initiative hat in ihrer Abschlusserklärung zu ihrem bundesweiten Workshop deswegen mehrere Forderungen beschlossen. Darunter: „Wir wollen, dass ein Jahr lang eine Abordnung von Arbeitsschutzexperten vor Ort im Schlachthof ist“, sagt Uhl. Die Experten sollen überwachen, dass Arbeitszeit- und Arbeitsschutzgesetze eingehalten werden. Außerdem soll der Bund gesetzlich die Werkverträge in den Schlachthöfen eindämmen – derzeit seien häufig über die Hälfte aller Beschäftigten über Subunternehmen angestellt.

Über die Missstände ist die Initiative mit den Schlachthofbetreibern an mehreren Standorten im Gespräch. Der Tönnies-Konzern, einer der größten Schlachthofbetreiber in Deutschland mit 16.500 Mitarbeitern, davon nach eigenen Angaben die Hälfte als Werkvertragsbeschäftigte, sieht keinen Bedarf für weitere Kontrollen. Man erlebe ständig Kontrollen, sowohl angemeldet als auch unangemeldet, sagt Justitiar Martin Bocklage. „Eine weitere Stelle im Betrieb ist aus unserer Sicht nicht notwendig“. Die Situation der Beschäftigten sei ihnen keineswegs egal. Man arbeite an Verbesserungen, „aber die Bedingungen sind aus unserer Sicht weder prekär, noch so wie geschildert.“ Da werde „viel dramatisiert“. Der Konzern könne sich illegale Dinge gar nicht leisten. „Diejenigen, die uns öffentlich kritisieren, sind häufig ehemalige Mitarbeiter, die ihre Arbeit wegen Streitereien oder Alkohol am Arbeitsplatz verloren haben.“

Schlachtindustrie: Missstände weiterhin vorhanden

Die Landesregierung in Schleswig-Holstein sieht das anders. Ein Bericht vom Juni, der sich mit den Arbeitsbedingungen auf Schlachthöfen und in der Fleischverarbeitung auseinandersetzt, zieht folgendes Fazit: Auch wenn es Betriebe gebe, die sich an die Standards des Arbeits- und Sozialrechts hielten, sei es „unbestreitbar“, dass „Missstände weiterhin vorhanden sind“. Für die Initiative der Gewerkschaften, Kirchen und Privatpersonen ist klar, dass sie weitermacht. „2020 gibt es wieder eine Konferenz geben“, sagt Riemann.


Bundesregierung: Um den heißen Brei herum

Die Situation in der Fleischbranche hat Grünen und Linken im Bundestag in den vergangenen Monaten keine Ruhe gelassen. Beide Oppositionsparteien haben die Bundesregierung hartnäckig zu Fortschritten befragt, die Grünen im Dezember 2018 (Drucksache 19/6323), die Linken im Juli 2019 (Drucksache 19/11441). In zentralen Fragen werden aber bis heute offenbar keine Daten erhoben. So gibt es, obwohl die ungleiche Bezahlung zwischen fest angestellten Mitarbeitern, Leiharbeitern, Werkvertragsmitarbeitern und Beschäftigten bei Subunternehmen in der Branche öffentlich immer wieder Thema sind, keine differenzierten Daten zu deren Stundenlöhnen.

Auch zur Wohnsituation und Arbeitsbedingungen von Entsandten lägen „keine weitergehenden Kenntnisse“ vor. Die Wohnsituation sei zudem nicht Bestandteil der Selbstverpflichtung der Branche, heißt es. Allerdings habe die Fleischwirtschaft sich zu sozialen Standards, insbesondere bei der Unterbringung, in einem Verhaltenskodex verpflichtet. Dass es trotz Selbstverpflichtung und Kodex immer wieder Berichte über Ausbeutung, Abzocke, Sozialversicherungsbetrug gibt, bleibt ein offener Widerspruch. Zuletzt deckte der Zoll im März 2019 einen Sozialversicherungsbetrug mit 2000 polnischen Arbeitnehmern auf, die auf deutschen Schlachthöfen arbeiteten und weder in Deutschland, noch in Polen versichert waren.

Befragt nach der Wirksamkeit des GSA-Gesetzes schreibt die Regierung, dass es das Gesetz gibt, es also auch den Arbeitnehmerschutz stärkt – qua Existenz sozusagen. Befragt zum Thema Videoüberwachung in Schlachthöfen heißt es, dazu lägen keine Informationen vor – obwohl der Bundesrat die (freiwillige) Installation der Kameras im Februar bewilligt hat. Aufschlussreich sind allerdings viele Tabellen, die den Antworten beigefügt sind


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