Deutscher Gewerkschaftsbund

01.10.2012
Arbeitsmarkt auf den Punkt gebracht 02/2012

Minijobs: Fehlentwicklung beenden, Kleinstarbeitsverhältnisse reformieren

7,5 Millionen Beschäftigte in Deutschland arbeiten in Minijobs, nur wenigen gelingt der Sprung in sozialversicherte Arbeit. Hunderttausende MinijobberInnen müssen ihr niedriges Einkommen mithilfe von Hartz IV aufstocken. Bezahlt wird dieser staatliche „Kombilohn“ von den SteuerzahlerInnen - eine Fehlentwicklung, die wir uns nicht länger leisten können.

Knapp 7,5 Millionen Beschäftigten in Deutschland verdienen derzeit höchstens 400 Euro pro Monat. Das ist rund ein Fünftel aller ArbeitnehmerInnen. Für etwa fünf Millionen ist der Minijob die einzige bezahlte Tätigkeit, die anderen üben den Job neben einer "normalen" Beschäftigung aus. Der Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen ist offensichtlich: Seit 2003 hat sich die Zahl der Minijobber weit über den generellen Trend um ein Drittel erhöht.

Mini-Jobs sind vor allem eine Frauendomäne - zwei Drittel der Beschäftigten sind Frauen. Die 400-Eurojobs konzentrieren sich dabei auf wenige Branchen: Groß- und Einzelhandel (1,23 Millionen Minijobs), Gebäudebetreuung, Grundstücks- und Wohnungswesen (782.000), Gastronomie (670.000) und Gesundheitswesen (420.000). In diesen vier Bereichen arbeiten über 42 Prozent aller MinijobberInnen - im Hotel und Gaststättengewerbe kommen auf hundert sozialversichert Beschäftigte sogar fast genau so viele Minijobber. In diesen Branchen führen die Minijobs zu schweren Verwerfungen bei den Lohn- und Arbeitsbedingungen.

Minijobs – ein gutes Geschäft für Arbeitgeber

Obwohl Teilzeitkräfte nicht benachteiligt werden dürfen, zeigt die Praxis, dass genau dies bei Minijobs der Fall ist. Die leicht höhere Abgabenbelastung kompensieren die Arbeitgeber, indem sie die Löhne drücken und Leistungen mit gesetzlichem Anspruch kürzen. „Durch Lohnabschläge kommt der ‚Vorteil’ durch die Steuer- und Abgabenbefreiung nicht den Beschäftigten im Minijob, sondern den Unternehmen zugute“, stellt das WSI der Hans-Böckler-Stiftung fest. Die Rechung „Brutto gleich Netto“ geht für Beschäftigten nicht auf (siehe Grafik).

Grafik: Niedriglohnfalle Minijob Beispielrechnung

WSI Mitteilungen 1/2012, S. 9

Schwarzarbeit wird verschleiert

Mit den niedrig besteuerten Minijobs sollte ursprünglich auch die Schwarzarbeit bekämpft werden. Dieses Ziel wurde nicht erreicht: Etwa 4,5 Millionen Privathaushalte beschäftigten eine Putz- oder Haushaltshilfe, stellt das Institut der Deutschen Wirtschaft in einer Studie "Arbeitsplatz Haushalt - Ein Weg aus der Schwarzarbeit" fest. Doch nur wenige der Haushaltshilfen sind sozialversichert beschäftigt, gerade 200.000 wurden als MinijobberInnen angemeldet.

Im gewerblichen Bereich werden Minijobs teils sogar genutzt, um Schwarzarbeit  zu verschleiern. Zwar wird ein Minijob angemeldet, alles über 400 Euro jedoch „schwarz“ ausgezahlt. Bei Kontrollen fällt dies in der Regel nicht auf, weil die geleistete Arbeitszeit nicht kontrolliert wird und sich der Minijobber legal im Betrieb aufhält. Wenn die Minijobs in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden, wird also die Schwarzarbeit nicht zunehmen.

Mini-Job = Mini-Rente = Altersarmut

Weil Minijobber keine eignen Beiträge zur Sozialversicherung zahlen, erwerben sie auch keine vollwertigen Pflichtbeitragszeiten in der Rentenversicherung - Altersarmut ist damit vorprogrammiert. Das hat auch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) erkannt. „Es macht keinen Sinn, heute die Minijobs auszuweiten und morgen mit der Zuschussrente die Folgen davon mühsam wieder aufzufangen", sagte sie im März der Deutschen Presseagentur.

Gute Arbeit statt Armutsfalle.

Wir können uns nicht länger leisten, fünf Millionen Menschen nur in Minijobs zu beschäftigten. 70 Prozent der Beschäftigten, die ausschließlich einen Minijob haben, wollen mehr arbeiten, können es aber nicht. Die Minijob-Regelung spiegelt das Gesellschaftsbild der 50er-Jahre wider. Doch dies ist nicht mehr zeitgemäß: Frauen und auch junge Mütter wollen nicht mit einem Minijob abgespeist werden.

Grafik: Zahl der MinijobberInnen mit Hartz IV

Viele Beschäftigte in Minijobs bleiben über viele Jahre auf Hartz IV angewiesen. Bezahlt wird dieser staatliche „Kombilohn“ wird vor allem von den SteuerzahlerInnen. Grafik: DGB; Zahlen: Statistik Bundesagentur für Arbeit

Über 672.000 MinijobberInnen mussten 2011 ihr Einkommen mithilfe von Hartz IV aufstocken. Viele bleiben über viele Jahre auf staatliche Fürsorge angewiesen – bezahlt wird dieser staatliche „Kombilohn“  vor allem von den SteuerzahlerInnen. Diese Fehlentwicklung muss beendet werden.

Gleichzeitig leiden viele Berufsfelder -  wie Pflege, Kindererziehung und Gesundheitswesen  - unter einem Fachkräftemangel. Das Ende der Minijobs würde hier die Beschäftigung ausweiten. Beispiele in anderen Ländern zeigen, dass diese Ausweitung der Beschäftigungszeiten die Arbeitslosigkeit nicht erhöht. Während die Erwerbstätigenquote von Frauen in Deutschland bei gut 60 Prozent liegt, arbeiten in den skandinavischen Staaten über 70 Prozent der Frauen – dennoch ist dort die Arbeitslosigkeit nicht höher als in Deutschland. Zudem entstehen gerade im Dienstleistungsbereich laufend neue Arbeitsplätze.

Langfristig gesehen führt ohnehin kein Weg an der Ausweitung des Arbeitskräftepotentials vorbei. Seit dem Jahr 2010 nimmt die Zahl der Arbeitskräfte kontinuierlich ab. Ihre Zahl wird nach Berechnungen des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit schon bis 2020 um knapp zwei Millionen abnehmen. Bis 2050 sollen es sogar  um die zehn Millionen Beschäftigte weniger sein.

Der DGB fordert

Alle Arbeitsverhältnisse müssen bei Bezahlung, Arbeitsbedingungen und sozialer Sicherung gleich behandelt werden. Dafür muss der Sonderstatus des Minijobs aufgehoben werden.

1. Gleichbehandlung durchsetzen. Die arbeitsrechtlichen Ansprüche von MinijobberInnen müssen durchgesetzt werden: Unabhängig von der Arbeitszeit müssen alle Beschäftigten entsprechend ihrer Tätigkeit bei der Entlohnung und Arbeitsbedingungen gleich behandelt werden. Die Durchsetzung dieser Ansprüche würde durch einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von wenigstens 8,50 Euro bzw. die Ausweitung von tariflichen Mindestlöhnen nach dem Entsendegesetz erleichtert.  Kontrollen würden vereinfacht werden, die Ansprüche wären transparent.

2. Besserer sozialer Schutz und Altersvorsorge: Alle Arbeitsverhältnisse müssen den vollständigen Sozialversicherungsschutz genießen.  Das bedeutet: ab dem ersten Euro müssen die vollen Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Der DGB schlägt jedoch vor, im unteren Einkommensbereich bis 800 Euro den Beschäftigten nicht den vollen anteiligen Beitrag aufzuerlegen: Für Kleinsteinkommen zahlen die Arbeitgeber (wie heute auch) einen höheren Anteil; erst ab 800 Euro teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Beiträge zur Hälfte. Da die Arbeitgeber auch heute einen höheren Beitrag für Minijobber zahlen, erhöht sich die Gesamtbelastung gegenüber dem geltenden Recht nur geringfügig.

Auch für die Beschäftigten ist die Belastung moderat. Bei 200 Euro Einkommen im Monat würden die Beschäftigten beispielsweise acht Euro und bei 300 Euro 24 Euro Beitrag zahlen. Im Gegenzug erhalten sie den vollen Schutz der sozialen Sicherung.  Die finanziellen Regelungen für Arbeitgeber würden Anreize setzen, die Beschäftigung auszuweiten; Kleinstarbeitsverhältnisse würden langsam zurückgehen.

3. Pauschale Besteuerung beenden. Auch die pauschale Besteuerung der Minijobs muss beendet werden. Durch diese Regelung entsteht die "Minijob-Mauer". Alleinstehende zahlen bei niedrigen Einkommen ohnehin keine Steuern und für Ehepaare muss die Steuerlast gerechter verteilt werden. Deswegen schlägt der DGB vor, das bisher nur freiwillige Faktorverfahren (Steuerklasse IV/IV mit Faktor) verpflichtend einzuführen, wenn beide Ehepartner erwerbstätig sind. Damit würde die Steuerklasse V aufgehoben, die den Ehepartner mit dem geringeren Einkommen bisher massiv steuerlich benachteiligt. Die Steuerlast insgesamt ändert sich dadurch nicht. Zur Umstellung der Besteuerungsverfahren soll es einen Übergangszeitraum von bis zu drei Jahren geben, in dieser Zeit können bestehende Arbeitsverhältnisse weiterhin pauschal besteuert werden.

3. Minijobs für RentnerInnen und Studierende sind nicht notwendig. Für diese beiden Gruppen gelten bereits Ausnahmen:

  • Wer eine Altersrente bezieht, zahlt schon jetzt für Nebenverdienste keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung.
  • Studierende sind bereits durch das „Werksstudentenprivileg“ bei Nebentätigkeiten  von Kranken-, Pflegeversicherung und Arbeitslosenversicherung befreit. In der gesetzlichen Rentenversicherung besteht Versicherungspflicht.

4. Sonderregelungen für Jugend- und Musikgruppen, Sportvereine und andere freiwillige Tätigkeiten. Für Gemeinnützige Arbeit gibt es schon heute steuerliche Sonderregelungen (Übungsleiterpauschale). Gemeinnützige Arbeit wurde bisher häufig mit einem Minijob kombiniert. Der Gesetzgeber muss entscheiden, ob die Freibeträge für begünstigten Tätigkeiten angehoben werden. Diese müssen aber genau definiert werden. Ehrenamtliche Tätigkeiten dürfen nicht mit dem Hauptberuf verknüpft werden.


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Minijobs reformieren: Raus aus der Armutsfalle

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