Am 27. Juni startet der Armutskongress 2017. Zu den Veranstaltern gehört auch der DGB. Wir haben DGB-Vorstand Annelie Buntenbach gefragt: Was muss sich tun, damit "arm trotz Arbeit" der Vergangenheit angehört?
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Drei Fragen an... DGB-Vorstand Annelie Buntenbach
DGB/Simone M. Neumann
Annelie Buntenbach: Deutschland hat immer noch den größten Niedriglohnbereich in Westeuropa, hier muss jeder Fünfte zu weniger als 10 Euro die Stunde arbeiten. Gerade Beschäftigungsverhältnisse, die uns immer wieder als Einstieg oder Übergang zu guter Arbeit verkauft werden, sind oft Sackgassen und dauerhafte Fallen für schlecht bezahlte Arbeit zu schlechten Bedingungen. Gerade Minijobs gehören hier zu den Motoren des Niedriglohnsektors: Siebeneinhalb Millionen arbeiten in solchen Kleinstarbeitsverhältnissen, davon sind knapp fünf Millionen ausschließlich auf solche Kleinstarbeitsverhältnisse angewiesen, 71 Prozent davon sind Frauen. 450 Euro im Monat reichen nicht zur eigenständigen Existenzsicherung und bieten weder betriebliche Aufstiegsmöglichkeiten noch soziale Sicherheit. Minijobs sind der sichere Weg in die Altersarmut.
Aber das sind nicht die einzigen Beschäftigungsverhältnisse zweiter und dritter Klasse in Deutschland: Auch Leiharbeiter (eine Million Beschäftige), Solo-Selbständige (2,3 Millionen) mit Werkverträgen und befristet Beschäftigten (2,7 Millionen) verdienen deutlich weniger als regulär Beschäftigte. Es zeigt sich: prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden immer wieder von Arbeitgebern zu Sozial- und Lohndumping missbraucht.
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse müssen eingedämmt werden. Hier ist die Politik gefordert. Arbeit gehört grundsätzlich in den Schutz der Sozialversicherungen, sie muss anständig bezahlt werden und eine Perspektive bieten. Wir fordern gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit!
Befristungen, die keinen sachlichen Grund haben, gehören abgeschafft. Sie machen gerade jungen Leuten den Einstieg in gute Arbeit schwer. Bei den Werkverträgen brauchen wir endlich klare Kriterien, um Missbrauch verhindern zu können, nur dann können Kontrollen wirksam ansetzen, um massenhaftes Lohndumping zu unterbinden, nicht nur am Bau oder in der Fleischindustrie. Und wir brauchen dringend eine Reform, die Minijobs in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umwandelt, und zwar ab dem ersten Euro. Dazu hat der DGB gute Vorschläge auf den Tisch gelegt, da muß die Politik ran - dann wären wir auch endlich einen Schritt weiter mit der Bekämpfung des "Gender pay gaps".
Wir brauchen Reformen bei der Rente - dafür machen DGB und Gewerkschaften gemeinsam die Kampagne: "Kurswechsel jetzt! Gesetzliche Rente stärken!" Und wir brauchen Reformen am Arbeitsmarkt. Schließlich ist klar: Nur aus guter Arbeit kommt am Ende des Arbeitslebens dann auch eine gute Rente. Der gesetzliche Mindestlohn, für den wir lange gekämpft haben, war ein echter Fortschritt, aber das reicht nicht, um den Niedriglohnsumpf trockenzulegen. Wenn prekäre Beschäftigung weiter zurückgedrängt wird, werden die größten Risiken für Armut in der der Arbeit beseitigt. Prekäre Beschäftigung wird auch dazu eingesetzt, um den sozialen Schutz bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und im Alter zu umgehen. Gerade für viele Frauen heißt das weiterhin: kein eigenständiger Zugang zu sozialen Sicherungssystemen. Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Minijobberinnen und Solo-Selbständige gehören in den Schutz der solidarischen sozialen Sicherungssysteme.