Deutscher Gewerkschaftsbund

03.11.2010
klartext 34/2010

Europa – Schuldenfalle trotz Sparzwang

Der Geist von Deauville hat es uns geflüstert: Wir Deutschen machen alles besser. Von uns muss man sich ein Stück Stabilitätskultur abschneiden. Wir leben nicht über unsere Verhältnisse und sparen tüchtig für die Zukunft, statt uns bis zum Hals zu verschulden. Ohne uns gäbe es in Europa keine Verschuldungsgrenzen. Bundesfinanzminister a. D. Waigel und Ex-Bundesbankchef Tietmeyer haben den Stabilitätspakt gegen die heutigen Defizitsünder durchgesetzt. Wer die Anforderungen erfüllt, ist ein guter Schüler, als Belohnung gibt's günstige Kredite – wie Deutschland. Wer aber in Saus und Braus lebt, besteht bekanntlich die Prüfung nicht. Das Ergebnis: Teure Kredite für Griechenland, dem faulen Knilch von der letzten Bank. Wer beim Spicken erwischt wird, muss in der Ecke stehen. Und vor der nächsten Prüfung durchsucht der Musterschüler die Taschen. Vertrauen ist gut, Kontrolle bekanntlich besser. Das ist der Geist der Vorschläge von Deauville, wo Merkel und Sarkozy ihn riefen. Der Aufstand der anderen EU-Länder geriet zur Gespensterdebatte. Werden nun alle zu Musterschülern wie Deutschland? Sind hohe Verschuldungen von nun an Vergangenheit?

Diese Hoffnung ist vergeblich. Im Gegenteil, Europa steuert zielgenau auf die Schuldenfalle zu. Denn die Strafen und verschärften Prüfungsbestimmungen des Wachstums- und Stabilitätspaktes machen aus weniger leistungsfähigen Schülern noch lange keine Musterschüler. Fördern, Integrieren und dann Fordern gilt nicht nur in der Bildungspolitik, sondern auch für die Haushaltskonsolidierung. Weniger Schulden machen nur Länder, die gut wachsen. Hingegen vergrößert sich der Schuldenstand, wenn eine Volkswirtschaft in einer wirtschaftlichen Flaute mit massiven Ausgabenkürzungen sparen will. Die Verschärfung der Prüfungsbedingungen funktioniert, wenn alle auf die Prüfung gut vorbereitet sind, also die Wirtschaft ordentlich wächst. Ohne Wachstum wird keine nachhaltige Konsolidierung möglich sein.

Das gilt auch für den Zauberlehrling Deutschland. Schon Schröders Sparkommissar Hans Eichel wollte mit Ausgabenkürzungen den Haushalt konsolidieren. Die Sparschweine auf seinem Schreibtisch wurden immer bunter und größer. Seine Schulden aber auch. Denn er sparte in der Krise und verschärfte sie so. Die Steuereinnahmen sanken, trotz Ausgabenkürzungen wurden mehr Schulden aufgenommen (siehe Abbildung). Ab Mitte 2005 verbesserte sich die Weltkonjunktur und damit das Wachstum in Deutschland. Die Steuerein­nahmen sprudelten wieder, der neue Finanzminister Stein­brück konnte den Bundeshaushalt konsolidieren und die Verschuldungskriterien des Stabilitätspakts einhalten. Erst mit dem Ausbruch der Krise und den Maßnahmen zur Krisenbekämpfung stieg die Neuverschuldung wieder.

Der Geist von Deauville vernebelt die triviale Erkenntnis bei Merkel, Sarkozy und dem Europäischen Rat, dass Ausgabenkürzungen in der Krise Wachstum kostet und eine höhere Verschuldung verursacht. Schon heute leiden die meisten europäischen Länder unter schwachem Wachstum. Die geplante Halbierung der Neuverschuldung würde die Konjunktur zusätzlich abwürgen und die Steuereinnahmen mindern. Der Druck zur Neuverschuldung und weiteren Sozialkürzungen würde steigen – für den Meisterschüler, aber erst recht für die Krisenländer der Eurozone. Ihnen stünde der sichere Weg in die Schuldenfalle bevor - allen Haushaltskonsolidierungen zum Trotz.

Europa befindet sich auf dem fiskalpolitischen Holzweg. Der Wachstums- und Stabilitätspakt muss überarbeitet und an die volkswirtschaftliche und soziale Wirklichkeit angepasst werden. Merkels Damoklesschwert macht aus Sparschweinen Scherbenhaufen und aus Europa einen Ort der sozialen Kälte.


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