- Mehr Schutz für Betriebsräte
- ver.di TV: Betriebsrat gründen
- IG Metall erklärt: Was ist ein Betriebsrat?
Wenn es keine Betriebsräte gäbe, müssten sie erfunden werden. Anstatt als Arbeitnehmer*in allein bessere Arbeitsbedingungen, mehr Gehalt oder betrieblichen Gesundheitsschutz einzufordern, werden solche Forderungen gemeinsam beraten und mit der Arbeitgeberseite verhandelt. Betriebsräte haben das Ohr an der Belegschaft und schützen die einzelnen Beschäftigten. Das ist gelebte Solidarität am Arbeitsplatz. Die Unternehmensmitbestimmung, also die Mitbestimmung im Aufsichtsrat größerer Aktiengesellschaften und GmbHs, bildet ein Gegengewicht zu kurzfristigen Investoreninteressen und trägt so zu nachhaltigeren Unternehmensentscheidungen bei.
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Die Mitbestimmung im Betrieb unterliegt klaren Regeln. Ab fünf Beschäftigten im Betrieb wird eine Interessenvertretung gewählt: Dies regelt das Betriebsverfassungsgesetz. Alle vier Jahre findet eine Betriebsratswahl statt. Betriebsräte haben Mitbestimmungsrechte in vielen wichtigen Bereichen des betrieblichen Alltags, unter anderem bei Fragen von Beginn, Ende und Verteilung der täglichen Arbeitszeit, bei Pausen, Überstunden und Urlaub, beim Arbeits- und Gesundheitsschutz und bei allen Fragen der Leistungs- und Verhaltenskontrolle der Beschäftigten.
In Betrieben mit Betriebsrat werden nachweislich höhere Löhne und Gehälter gezahlt. Außerdem werden mehr Auszubildende eingestellt, die Arbeitsplätze sind sicherer, die Betriebe sind produktiver und innovativer. Gewerkschaften und Betriebsräte wollen den Wandel der Arbeitswelt nicht stoppen, sondern aktiv und konstruktiv mitgestalten. Gute Praxisbeispiele zeigen, dass die sozialpartnerschaftliche Gestaltung dieses Wandels zu besseren Ergebnissen führt, als die Arbeitgeber „machen zu lassen“. Insgesamt arbeiten in der deutschen Privatwirtschaft rund 42 Prozent der Beschäftigten in West- und 35 Prozent in Ostdeutschland in Betrieben mit Betriebsrat.
Die letzte Reform der Betriebsverfassung trat vor mehr als 20 Jahren in Kraft. Es wird Zeit, den mitbestimmungspolitischen Stillstand zu überwinden, indem schon lange bekannte Defizite innerhalb der Betriebsverfassung endlich beseitigt werden und Mitbestimmung in der digitalen, globalisierten Arbeitswelt fester verankert wird. Gerade in der Anfangszeit der Corona-Pandemie zeigte sich, dass Betriebsräte bei der Aufstellung von Hygieneplänen, Arbeitszeitregelungen, Home-Office und natürlich bei der Einführung von Kurzarbeit und der Auszahlung von Kurzarbeitergeld entscheidend dazu beigetragen haben, den Beschäftigten schnell Sicherheit zu geben. Gleichzeitig wurden auch Grenzen und Defizite der aktuell geltenden Betriebsverfassung aufgezeigt, gerade bei den so genannten Zukunftsthemen. So ist bis heute nicht vorgesehen, dass der Betriebsrat bei der Einführung von mobiler Arbeit die Initiative ergreifen darf (Initiativrecht).
Gleiches gilt für die Einführung von betrieblicher Weiterbildung. In beiden Bereichen gibt es zwar ein Mitbestimmungsrecht für die Ausgestaltung von Regelungen, aber die Betriebsräte müssen darauf warten, dass der Arbeitgeber überhaupt etwas anbietet. Doch nur mit einem Initiativrecht können Verhandlungen vom Betriebsrat erzwungen werden, sollte es dringend nötig werden. Ein weiterer Punkt: Immer wieder braucht ein Betriebsrat den Sachverstand von externen Expert*innen, gerade wenn es um neue, komplexe Zukunftsthemen geht. Doch er kann sie nicht schnell und direkt selbst beauftragen, sondern muss dies vorab mit dem Arbeitgeber verhandeln, was oft lange dauert. Angesichts eines umfassenden Umbaus der Wirtschaft ist es unbegreiflich, dass Betriebsräte noch immer keinerlei Mitbestimmungsrecht bei der Personalplanung haben, den Interessenausgleich bei Betriebsänderungen nicht erzwingen können und beim Klima- oder Umweltschutz sowie in fast allen Fragen, die über die nationalen Grenzen hinausgehen, nicht mitreden dürfen.
Immer wieder wird die Gründung von Betriebsräten durch die Unternehmensführung zum Teil massiv behindert, in der Mehrheit mit „Unterstützung“ von darauf spezialisierten Rechtsanwält*innen. Studien des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigen, dass jede sechste Wahl in Betrieben, die das erste Mal einen Betriebsrat wählen, mit illegalen Mitteln behindert wird. Diese Behinderungen werden teilweise öffentlich bekannt – zum Beispiel bei „Goodgame“ in Hamburg, bei „Alnatura“ in Bremen, in der Meyer-Werft in Papenburg – aber dennoch von Öffentlichkeit und Politik hingenommen. Ein umfassender Kündigungsschutz für die Beschäftigten, die erstmals einen Betriebsrat gründen wollen, würde diese Wahlen deutlich sicherer machen. Eine schärfere Sanktionierung von Versuchen der Be- oder Verhinderung von Betriebsräten, etwa durch die Einstufung als Offizialdelikt und die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, wirkt erst im Nachhinein, schreckt aber potenzielle Nachahmer*innen ab.
Die „Unternehmensmitbestimmung“ greift ab 500 bzw. 2.000 Beschäftigten und bedeutet, dass die Beschäftigten ihre Arbeitnehmervertreter*innen für den Aufsichtsrat wählen können. Diese übernehmen ein Drittel (gemäß Drittelbeteiligungsgesetz in Kapitalgesellschaften mit 501-2.000 Beschäftigten) bzw. die Hälfte der Sitze im Aufsichtsrat (gemäß Mitbestimmungsgesetz ab 2.001 Beschäftigten). Die Aufgabe der Aufsichtsratsmitglieder besteht unter anderem darin, den Vorstand bzw. die Geschäftsführung eines Unternehmens zu kontrollieren und zu beraten. Die Mitbestimmung im Aufsichtsrat ist gelebte Wirtschaftsdemokratie, bildet ein Gegengewicht zu kurzfristigen Investoreninteressen und unterstützt die Nachhaltigkeit der Unternehmenspolitik. Aktuelle Studien zeigen, dass Unternehmen mit starker Mitbestimmung mehr ausbilden, ein höheres Maß an Arbeitsplatzsicherheit bieten, mehr Frauen in den Aufsichtsrat berufen, Nachhaltigkeit stärker in tägliche Entscheidungen integrieren und weniger geneigt sind, „aggressive“ Steuerpraktiken zu verfolgen.
Die Unternehmensmitbestimmung wird jedoch nur dann weiter positiv wirken, wenn ihre drohende Erosion verhindert wird. Dazu ist es notwendig, die zahlreichen Schlupflöcher zur Vermeidung der Mitbestimmung zu schließen, die sich unter anderem durch europäisches Recht ergeben haben. Wie aktuelle Recherchen der Hans-Böckler-Stiftung zeigen, entziehen sich mittlerweile mindestens 307 Unternehmen mit zusammen mindestens 2,1 Millionen Beschäftigten der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat oder ignorieren gesetzeswidrig ihre Anwendung.
Auch dort, wo Unternehmensmitbestimmung existiert, sollte ihr Einfluss ausgebaut werden. Denn noch immer besteht im Mitbestimmungsgesetz ein Doppelstimmrecht des oder der Aufsichtsratsvorsitzenden. Diese Person vertritt immer die Kapitalseite und hat die entscheidende Stimme bei einem Patt. Stattdessen sollte man sich an der „Montanmitbestimmung“ orientieren, die bereits seit 70 Jahren Elemente einer zukunftsfähigen Unternehmensführung enthält.
Kapital und Arbeit sind in der Montanmitbestimmung völlig gleichberechtigt vertreten; bei einem Stimmenpatt entscheidet eine neutrale Person, auf die sich beide Seiten einigen können. Es spricht vieles dafür, dieses konsensorientierte Schlichtungsmodell auf alle paritätisch mitbestimmten Aufsichtsräte zu übertragen, zumindest wenn es um Maßnahmen der strategischen Ausrichtung des Unternehmens mit Personalbezug geht, darunter Werks- und Betriebsschließungen, Sitzverlagerungen ins Ausland, Rechtsformänderungen, Unternehmensverschmelzungen, Standortverlagerungen, Unternehmenskäufe und -verkäufe oder Massenentlassungen. Außerdem sollten wieder mehr Unternehmen in die Unternehmensmitbestimmung hineinwachsen. Daher müsste der Schwellenwert im Mitbestimmungsgesetz von 2.000 auf 1.000 Arbeitnehmer*innen und der im Drittelbeteiligungsgesetz von 500 auf 250 gesenkt werden.