Deutscher Gewerkschaftsbund

10.09.2010

Michael Sommer: "In den Betrieben brodelt es"

Mit seiner Herbstaktion will der DGB auch Druck auf die Leiharbeitsbranche ausüben. „Unsere Geduld ist am Ende“, sagte DGB-Chef Michael Sommer in der Leipziger Volkszeitung. Nötig sei jetzt das Prinzip „Gleicher Lohn für gleich Arbeit“ und Mindestlöhne in der Leiharbeit.

Leipziger Volkszeitung: Sie haben gesagt: Kohle ist sinnvoller als Atomkraft. Was halten Sie vom gefundenen Energiekompromiss der Bundesregierung?

Michael Sommer: Ich halte ihn für einen großen Fehler. Der alte, von den Energiekonzernen unterzeichnete Atomkompromiss hatte in der Gesellschaft eine befriedende Wirkung, weil allen klar war, dass die Nutzung von Atomenergie ausläuft. Der neue Beschluss ist eine Abkehr davon. Die Konzerne werden jetzt nicht im ausreichenden Maße in erneuerbare Energien investieren, es wird noch schwieriger werden den Weg in ein Zeitalter der regenerativen Energie zu beschreiten. Der Kompromiss schadet noch dazu der heimischen Braun- und Steinkohle und macht uns abhängiger von der Atomenergie. In unseren Augen ist die Atomenergie keine Brückentechnologie. Anscheinend haben aber die Konzerne in der Regierung einen willfährigen Partner gefunden, der ihre ökonomischen Interessen durchsetzt.

Was sagen Sie dazu, dass die geplante Brennelemente-Steuer als Betriebsausgabe abgesetzt werden kann?

Die Höhe und die Zeitdauer dieser Steuer sind eine Farce. Hier setzt sich fort, was wir die ganze Zeit schon an der Regierung kritisieren: Sie zementiert die Schieflage in der Gesellschaft, die da lautet: Bei den Kleinen holt man´s, den Großen gibt man´s. Erst wurden die Hoteliers begünstigt. Dann hat man die Banken, obwohl sie die Verursacher der Finanzkrise sind, geschont. Jetzt bevorteilt man die Energiekonzerne. Ich bin gespannt, wie viele Luftnummern bei den Haushaltsberatungen noch herauskommen. Das schauen wir uns jedenfalls nicht länger an.

Die Gewerkschaften planen einen heißen Herbst ...

... wir planen bundesweite Aktionen. Die Journalisten reden vom heißen Herbst – wiewohl ich glaube, dass er die Menschen in Deutschland schon für unsere Forderungen erwärmen wird.

Haben Sie keine Sorge, damit den Wirtschaftsboom abzuwürgen?

Wir wollen, dass es in diesem Land gerecht zugeht. Dazu gehören faire Löhne. Da wird nichts abgewürgt, gute Abschlüsse in den Tarifrunden der Gewerkschaften werden letztlich den Aufschwung fördern. Wir haben in Deutschland keinen zu schwachen Export, sondern eine zu schwache Binnennachfrage. Das müssen wir zurück ins Gleichgewicht bringen und dazu gehören kräftige Lohnsteigerungen, die zu mehr Kaufkraft führen.

Mit der Bescheidenheit, die durch die Krise geholfen hat, ist es also vorbei?

Wir haben sehr verantwortungsvoll gehandelt und so zur Sicherung von Arbeitsplätzen beigetragen. Aber Bescheidenheit ist spätestens dann fehl am Platze, wenn die Arbeitgeber ein falsches Spiel spielen. Wir erleben beispielsweise massenhaft, wie Unternehmen schamlos wieder auf Leiharbeit setzen – und die Regierung schaut tatenlos zu.

Die FDP spricht sich gerade dafür aus, das Prinzip „Gleicher Lohn für Zeit- und Stammkräfte“ gesetzlich festzuschreiben. Kommt der DGB mit seinen Aktionen nicht zu spät?

Wir sind an dem Thema schon seit langem dran und hören bis jetzt nur Lippenbekenntnisse. Unsere Geduld ist am Ende. Es muss sich endlich substanziell was bewegen in der Leiharbeit. Auch deswegen machen wir im Herbst Druck. Wir brauchen übrigens beides: die Durchsetzung des Prinzips „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und zusätzlich einen Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche. Nur so können wir den Missbrauch der Leiharbeit in den Industriebetrieben aber auch Lohndumping am untersten Rand der Einkommensskala bekämpfen. Gerade im Osten  erleben wir, dass die Leiharbeit wieder alte Höchststände erreicht.

Wie muss ein Gesetz für Leiharbeiter aussehen, das den Namen verdient?

Der entscheidende Punkt ist, dass Leiharbeiter im Betrieb den gleichen Lohn und die gleichen Arbeitsbedingungen haben müssen wie die Stammkräfte. Das sollte, so der Idealfall, von der ersten Stunde an gelten. Diskutiert wird in einigen Kreisen aber auch über equal pay nach einer Einarbeitungszeit. Allerdings birgt das die Gefahr, dass Leiharbeiter nach der Einarbeitungszeit wieder gefeuert werden und ein sogenannter Drehtüreffekt einsetzt. Und erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Umgang mit der Leiharbeit: Ein Blick nach Frankreich zeigt, dass dort beispielsweise Leiharbeiter neben dem normalen Lohn eines Stammbeschäftigten sogar noch einen Zuschlag erhalten, einen zehnprozentigen Prekaritätszuschlag.

Ist das Teil Ihrer Forderungen?

Noch nicht. Aber wir werden ernsthaft darüber nachdenken, je länger diese miese Nummer läuft. Die Regierung wäre gut beraten, endlich zu einer klaren gesetzlichen Regelung zu kommen und die Fehler im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu beseitigen. Und den Arbeitgeberverbänden rate ich, ihr Störfeuer hinter den Kulissen zu unterlassen. In den Betrieben brodelt es. Die Stimmung ist durchaus angespannt und ich rechne damit, dass sich das auch bei unseren Aktionen im Herbst zeigen wird. Wir brauchen endlich Lösungen.

Laut einer neuen Studie ist das Renteneintrittsalter der Deutschen gestiegen. Ist die Rente mit 67 doch der richtige Weg?

Fakt ist: Die Betriebe entledigen sich älterer Mitarbeiter in völliger Missachtung ihrer Qualifikation und Erfahrung. Das ist die Realität. Und jetzt sollen sie sich von der Politik sagen lassen, geht schön bis 67 oder noch länger arbeiten. Sie werden verhöhnt und obendrein mit Rentenkürzungen bestraft. Wir leben in einem Land das auf Altersarmut zusteuert. Im Osten noch viel stärker, gerade wegen der gebrochenen Erwerbsbiografien nach der Wende.

Welche Aktionen sind geplant?

Viele. Noch diesen Monat werden Gewerkschaftsmitglieder im öffentlichen Dienst gegen die verfehlte Sparpolitik der Bundes- und Landesregierungen protestieren. Und in hunderten von Betrieben wird es Aktionen gegen den Missbrauch der Leiharbeit oder die Rente mit 67 und die Schieflage in der Sozial- und Steuerpolitik geben. Dazu kommen Demonstrationen in Dortmund, Hannover, Stuttgart und Nürnberg, um nur einiges zu nennen.

 

Interview: Andreas Dunte. Erschienen in der Leipziger Volkszeitung vom 10.09.2010.


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