Deutscher Gewerkschaftsbund

05.09.2011

Argumente gegen die Zusammenlegung der Verwaltungs- und Sozialgerichte auf Länderebene

Die Diskussion um die Zusammenlegung der Verwaltungs- und Sozialgerichte ist ein Dauerbrenner. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart worden, dass den Bundesländern die Möglichkeit eröffnet werden soll, ihre Verwaltungs- und Sozialgerichte zusammenzuführen.

Das ist die sogenannte Optionslösung. Es stellt sich bei der Diskussion um eine Zusammenlegung der Verwaltungs- und Sozialgerichte die Frage, welche Nachteile sich daraus ergeben.

1. Optionslösung heißt: Flickenteppich

Durch eine unterschiedliche Handhabung in den einzelnen Bundesländern ergibt sich ein für den Betroffenen intransparentes Durcheinander. In einem Bundesland entscheidet über eine sozialrechtliche Frage ein Verwaltungs- und in einem anderen Bundesland ein Sozialgericht. Dabei eine einheitliche Linie zu finden ist problematisch.

Mittelfristig bedeutet eine Zusammenlegung der Verwaltungs- und Sozialgerichte aber auch, dass die Institution der Fachgerichtsbarkeiten an sich gefährdet ist. Bedroht ist insbesondere das Bundessozialgericht, wenn schon die unterinstanzlichen Gerichte vereinheitlicht worden sind. Und ist dann als nächstes die Arbeitsgerichtsbarkeit betroffen?

2. Spezialwissen und Spezialisten in einer eigenen Struktur

Die Fachgerichtsbarkeiten, wie die der Sozialgerichtsbarkeit, sind gerade deshalb geschaffen worden, um dem hohen Maß an Verrechtlichung gerecht zu werden. Die Fachgerichtsbarkeiten sind in der Lage, Spezialwissen zu bündeln und dabei Bezüge in den gesamten Rechtsgebieten zu berücksichtigen. Der Bedarf daran hat sich im Laufe der Jahre nicht vermindert, sondern eher erhöht. Die zunehmende Spezialisierung gerade bei den Sozialversicherungsträgern in den unterschiedlichen sozialrechtlichen Bereichen verlangt eine hohe Fachkompetenz auch bei der Sozialgerichtsbarkeit. Der gute Ruf der deutschen Gerichte im Ausland wäre ohne den guten Ruf der Fachgerichte nicht denkbar. Die eigene Struktur garantiert aber gerade das nötige Spezialwissen und die höhere Qualität. Durch eine Zusammenlegung würde dieses Spezialwissen nicht mehr optimal ausgeschöpft werden.

3. Richterliche Unabhängigkeit bewahren!

Die Zusammenlegung würde nicht nur die bewährten Strukturen der Fachgerichtsbarkeiten zerstören, sondern auch die richterliche Unabhängigkeit einschränken. Ziel der Zusammenlegung ist es nämlich, einen flexibleren Einsatz von Richterinnen und Richtern zu ermöglichen. Eine Änderung der Verfassung, allein aus diesem Grund, stellt den Wert unserer Verfassung und damit unseren Sozial- und Rechtsstaat in Frage. Die Zusammenlegung würde auch das Problem eines örtlichen Ausgleichs bei unterschiedlicher Belastung der Gerichte nicht lösen, weil die Richter ihren bestimmten örtlichen Gerichten zugeordnet werden müssen.

4. Anstieg von Verfahren gemeistert

Auch der hohe und noch zu erwartende Anstieg der Verfahren vor den Sozialgerichten rechtfertigt keine Zusammenlegung, da in der Vergangenheit dieser Anstieg mit den zur Verfügung stehenden personellen Maßnahmen bewältigt werden konnte. Dies kann auch zukünftig ohne eine Zusammenlegung gelöst werden.

Auch die oft angeführte ungenügende Auslastung oder Überalterung der Verwaltungsgerichte ist kein Argument mehr. In einigen Bundesländern wurde das Widerspruchsverfahren abgeschafft, wodurch es zu einem Anstieg der Klageverfahren bei den Verwaltungsgerichten kam. Infolgedessen wurden nun auch neue, jüngere Verwaltungsrichterinnen und -richter eingestellt.

5. Finanzieller Erfolg ungewiss, Qualität bedroht

Ob überhaupt Einsparungen infolge einer Zusammenlegung möglich wären, ist fraglich. Es gibt keine Berechnungen, die dies belegen. Für die Beibehaltung der eigenständigen Sozialgerichtsbarkeit spricht auch: Das Prozessrecht ist so ausgestaltet, dass die Durchsetzung sozialrechtlicher Ansprüche so einfach wie möglich erfolgen kann. Lediglich finanzielle und organisatorische Gründe können eine Zusammenlegung nicht rechtfertigen. Ein sozialer Rechtsstaat darf die Qualität der Rechtsprechung aus diesen Gründen nicht beeinträchtigen. Im Übrigen ist der Anteil der Justizhaushalte am gesamten Haushaltsvolumen gering.

6. Grundgesetzänderung erforderlich – damals wie heute

Schon der damalige Gesetzesentwurf des Bundesrates von 2004 ging davon aus, dass eine Grundgesetzänderung erforderlich ist. Wörtlich ist in dem Entwurf formuliert: „Der Text des Art. 92 GG soll in zwei Absätze unterteilt und inhaltlich um die Feststellung ergänzt werden, dass die Länder bestimmen können, dass Verwaltungs-, … und Sozialgerichtsbarkeit durch Fachgerichte einheitlich ausgeübt werden können.“ Die Justizminister und Justizministerinnen hielten es für zweifelhaft, „ob Art. 95 Abs. 1 GG nach geltendem Recht eine selbst auf die Ebene der Länder beschränkten Zusammenlegung … entgegen stehen“. Diese Situation ist unverändert. Zweifel, die damals bestanden, bestehen noch heute, so dass schon aus Rechtssicherheitsgesichtspunkten eine Grundgesetzänderung zwingend wäre.

Sollte eine solche Grundgesetzänderung unterbleiben, bestünde nämlich die Gefahr, dass alle abgeschlossenen Verfahren wegen Entzugs des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Satz 2 GG wieder aufgenommen werden könnten und neu verhandelt werden müssten.

Denkbar und auch zu erwarten wäre eine abstrakte Normenkontrolle, die u. a. von einer Landesregierung oder einem Viertel der Mitglieder des Bundestages initiiert werden kann.

Die Argumente zum Download:

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