Deutscher Gewerkschaftsbund

26.03.2024

Christiane Benner: "Die Menschen brauchen Zuversicht"

einblick April 2024

Die Erste Vorsitzende der IG Metall im einblick-Interview über die aktuelle wirtschaftliche Lage, den Einsatz von KI und wie ein Update für Mitbestimmung und mehr Tarifbindung aussehen muss.

Porträt Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall

IG Metall/Thomas Pirot

Künstliche Intelligenz verändert bereits viele Bereiche des öffentlichen Lebens. Wie wirkt sie sich auf die Arbeitswelt aus?

KI ist in den Betrieben schon lange angekommen. Wichtig ist, dass wir die Potentiale anschauen und die Chancen nutzen: Schlaue Maschinen können Menschen die Arbeit erleichtern, Abläufe können automatisiert werden. Wir drängen darauf, dass die Beschäftigten dafür qualifiziert werden und der Einsatz der Produkte mitbestimmt ist. Wir müssen die Beschäftigten mitnehmen in diese Veränderungen.

Welche Risiken drohen beim Einsatz von KI?

KI darf nicht zur Leistungskontrolle genutzt werden. Beim Thema Datenerfassung und personenbezogene Daten können Betriebsräte dazu beitragen, diese Aspekte positiv zu gestalten. In nicht-mitbestimmten Bereichen kann KI zur Leistungsverdichtung und Überwachung führen. Das darf so nicht sein. Lasst uns Technik so nutzen, dass die Arbeit einfacher wird für die Beschäftigten, nicht um sie zu drangsalieren.

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Wie kann der digitale Wandel vor Ort in den Betrieben gestaltet werden?

Arbeitgeber sollten sich direkt mit den Betriebsräten zusammensetzen und analysieren, was auf ihre Betriebe zukommt. Wie die digitalen Entwicklungen akzeptiert werden, hängt davon ab, welches Vertrauen Belegschaften und Betriebsräte in die neue Technik haben. Es ist wichtig, dass Arbeitgeber und Betriebsräte diese Schritte von Anfang an gemeinsam gehen. Wenn die Unternehmen die KI richtig einsetzen würden, hätte das für die Wettbewerbsfähigkeit echte Vorteile.

Was tun die Gewerkschaften, um das Thema KI auch politisch voranzubringen?

KI ist ein Gegenwarts- und ein Zukunftsthema. Es ist noch nicht so in der Fläche angekommen, aber wir Gewerkschaften sind da sehr aufmerksam und involviert. Wir haben unsere Positionen erfolgreich beim „AI Act“ auf europäischer Ebene eingebracht. Mit einer Betriebsvereinbarung lässt sich nicht alles regeln, weil KI dafür zu allumfassend ist, diese Systeme einfach zu mächtig sind.

"Der klimaneutrale Umbau braucht einfach massive Investitionen"

Wie bewertest Du die aktuelle Situation in Deutschland – ist das Glas halb voll oder doch eher leer?

Das Glas ist halb voll! Der klimaneutrale Umbau, weg von den fossilen Energien, braucht einfach massive Investitionen. Um die möglich zu machen, fordern wir gewerkschaftsübergreifend eine Reform der Schuldenbremse. Nur so können wir die Chance nutzen, Neues entstehen zu lassen, denn dieser Umbau bietet alle Möglichkeiten. Deutschland kann ja alles, was Produkte und Qualifikationen anbelangt, wir haben so kluge Beschäftigte. Die Investitionen müssen zum Teil die Unternehmen bringen, aber wir brauchen auch einen industriepolitischen Plan von der Politik. Die Veränderungen, die gerade stattfinden –das ist schon eine Ausnahmesituation. Die Unternehmen schaffen das nicht allein, die können nicht alleine eine Wasserstoff- oder Netzinfrastruktur aufbauen. Das erfordert einfach öffentliche Investitionen.

Porträt Christiane Benner

Christiane Benner ist seit Oktober 2023 Erste Vorsitzende der IG Metall. Die gelernte Fremdspra-chenkorrespondentin und Diplom-Soziologin verantwortet die Bereiche Grundsatzfragen/Gesellschaftspolitik, Zielgruppen, die Organistionspolitik, Betriebs- und Mitbestimmungspolitik sowie die Interne Revision und das Justitiariat der IG Metall. IG Metall

Was muss die Politik jetzt anpacken, damit die Stimmung besser wird?

Die Menschen haben ein Sicherheitsbedürfnis. Sie brauchen Zuversicht, einen Plan, wo es hingehen kann. Sie haben Angst vor sozialem Abstieg, empfinden Ungerechtigkeit. Mit einer guten Investitionspolitik, mit einer gerechten Steuerpolitik und einer geeinten Regierung kann man den Menschen durchaus Zuversicht und Sicherheit geben.

Auch Tarifverträge tragen dazu bei, den Wandel im Sinne der Beschäftigten zu gestalten…

… ja, Tarifverträge sind ein wichtiger Eckstein bei Veränderungen. In Betrieben, in denen es Betriebsräte und Tarifverträge gibt, herrscht eine andere Ruhe in diesen Veränderungsprozessen. Es gibt eine Basis, von der man ausgehen kann: Wie gestalten wir das weiter? Wie gehen wir mit den erwarteten Veränderungen um? Wir als Tarifpartner gestalten die Transformation auch kreativ, zum Beispiel mit Zukunftstarifverträgen. Wenn man das intelligent spielt, mit Tarifverträgen und einer weiter entwickelten Mitbestimmung, dann sind da ganz große Gestaltungsspielräume, um Arbeitsplätze zu sichern und das ganze Thema rund um die Klimaneutralität zu gestalten. Das A und O ist, die Menschen wirklich mitzunehmen. Das tun wir Gewerkschaften.

Stichwort Kreativität – bei Tesla im brandenburgischen Grünheide seid ihr ganz neue Wege gegangen. Wie ist denn der aktuelle Stand?

Wir sind von Anfang an mit unserem Beratungsbüro ganz in der Nähe präsent gewesen, am Bahnhof „Fangschleuse“ – der hieß übrigens schon vorher so (lacht) – wo die Kolleginnen aus dem Berliner Bereich ankommen. Wir kommen gut vorwärts. Jetzt gab es Neuwahlen zum Betriebsrat, weil die Beschäftigtenzahl auf über 12.000 angestiegen ist.  Die Liste der IG Metall hat mit knapp 40 Prozent die meisten Sitze geholt. Und das trotz massiver Einschüchterungsversuche durch die Arbeitgeber. Unser Ziel ist es, bei Tesla so viele Mitglieder zu haben, dass wir in Richtung Tarifbindung und Tarifvertrag gehen können. In Deutschland gibt es keinen Auto-Hersteller, der nicht tarifgebunden ist, und Tesla soll es auch nicht bleiben.

Was muss die Politik für mehr Tarifbindung tun?

Im geplanten Bundestariftreuegesetz ist vorgesehen, die Auftragsvergabe des Bundes an die Tarifbindung zu koppeln. Uns ist wichtig, dass auch Investitionen und Subventionen in große Firmen und Fabriken an Tarifbindung und Beschäftigungssicherung gebunden werden. Durch die Lücken in der Tarifbindung entgehen dem Staat viele Gelder, die unseren Sozialstaat sichern können. Auch beim Thema Geschlechtergerechtigkeit sieht man ja, dass es in tarifgebundenen Unternehmen weniger Einkommensunterschiede gibt. Die europäische Mindestlohnrichtlinie schreibt übrigens eine Tarifbindung von 80 Prozent vor – davon sind wir in Deutschland aktuell weit entfernt. Schon deshalb ist das Gesetz wichtig. Wir warten aber nicht auf das Gesetz, sondern arbeiten daran, unsere Basis durch mehr Mitglieder in den Betrieben zu stärken.

Der Mindestlohn ist die absolute Untergrenze der Lohnskala. Wie hoch wäre ein guter Mindestlohn?

Nach Vorgabe der EU muss der Mindestlohn bei 60 Prozent vom Median-Einkommen liegen und das wären Stand jetzt circa 14 Euro. Ich hoffe, dass die Mindestlohnkommission wieder so funktioniert wie sie angedacht war, nämlich dass Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam einen Vorschlag vorlegen. Und nicht so wie beim letzten Mal, als die Gewerkschaftsseite überstimmt wurde.

Die Gewerkschaften fordern ein Update der Mitbestimmung. Was muss da genau passieren?

Wir haben als DGB und IG Metall ja einen umfassenden Reformentwurf vorgelegt. Kurz zusammengefasst: Die Verhinderung oder Behinderung von Betriebsratswahlen muss strafrechtlich verfolgt werden, als sogenanntes Offizialdelikt. Das gehört rein ins Betriebsverfassungsgesetz. Außerdem brauchen die Gewerkschaften ein digitales Zugangsrecht in die Betriebe. Betriebsräte müssen – gerade angesichts der Veränderungen – dringend mehr Rechte erhalten bei strategischen Entscheidungen und der Qualifizierung der Beschäftigten. Wir unterstützen auch eine „Demokratiezeit“ für mehr Kommunikation in den Betrieben. Da kann man Menschen gut mitnehmen und beteiligen. Gerade in diesen Zeiten, wäre es doch gut, so etwas zu haben.


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