Deutscher Gewerkschaftsbund

06.12.2023

Achim Truger: Die Schuldenbremse muss grundlegend reformiert werden

Der Ökonom und Sachverständige im Rat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Achim Truger beschreibt, wie eine grundlegende Reform der Schuldenbremse aussehen muss und welche vier Aspekte die Politik dabei berücksichtigen sollte.

Achim Truger

Dr. Achim Truger ist Professor für Sozioökonomie mit Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen. Zudem ist er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Uni Duisburg-Essen / Bettina Engel-Albustin

Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Befüllung des Klima- und Transformationsfonds mit in der Corona-Krise nicht genutzten Kreditermächtigungen im Nachtragshaushalt 2021 für verfassungswidrig erklärt hat, ist die finanzpolitische Strategie der Ampelkoalition krachend gescheitert. Aktuell fehlen im Klima- und Transformationsfonds für die kommenden Jahre mindestens 60 Mrd. Euro. Auch der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds ist betroffen: Hier wurden vom Bundeskanzler zuletzt die geplanten Gas- und Strompreisbremsen für das erste Quartal 2024 in Höhe von rund 20 Mrd. Euro einkassiert.

Die Folgen des Urteils sind weitreichend. Erstens für die Transformation, denn nun herrscht große Unsicherheit, welche der geplanten klima- und transformationspolitischen Maßnahmen aus dem KTF überhaupt umgesetzt werden. Werden Stromkundinnen und -kunden in Zukunft weiter von der EEG-Umlage verschont, wird die Bahn- und Ladesäuleninfrastruktur wie vorgesehen gefördert, kommt es zur Ansiedlung der Chipfabriken, wie steht es um die zahlreichen Förderprogramme für Unternehmen und private Haushalte? Zweitens makroökonomisch, denn die kurzfristig in Frage stehenden Maßnahmen haben ein Volumen von durchaus 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und damit eine makroökonomische Dimension. Wird bei ihnen gekürzt oder käme es zu entsprechenden Kürzungen im Bundeshaushalt, um sie doch finanzieren zu können, droht angesichts der ohnehin bereits auf der Kippe stehenden Konjunktur im kommenden Jahr eine erneute Rezession. Etwas milder dürften einnahmeseitige Maßnahmen, etwa ein Klima-Soli oder der Abbau klimapolitisch schädlicher Steuervergünstigungen wirken, aber auch sie würden die Konjunktur spürbar belasten. Drittens aber zeigt das Urteil – unabhängig von den aktuellen Turbulenzen – die grundlegende Reformbedürftigkeit der Schuldenbremse im Grundgesetz. Gegner der aktuellen Schuldenbremse hatten von Anfang an zu Recht darauf hingewiesen, dass sie zu geringe Spielräume für öffentliche Investitionen und zur Konjunkturstabilisierung gewähre und daher über kurz oder lang schwere gesamtwirtschaftliche Schäden anrichten könne.

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Reform der Schuldenbremse: Gute Konjunktur verschleierte jahrlang die Folgen

Die grundlegenden Probleme der Schuldenbremse blieben nach ihrer Einführung im Jahr 2009 zunächst lange Zeit durch finanzpolitisch günstige Entwicklungen verdeckt. Seit 2010 erholte sich die Konjunktur unerwartet rasant mit einem starken Beschäftigungsaufbau, der bis zum Jahr 2019 anhielt und die Steuerquellen sprudeln ließ. Gleichzeitig sanken aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB seit der Eurokrise die Zinsausgaben in den öffentlichen Haushalten. Wegen dieser günstigen Entwicklungen musste die Schuldenbremse letztlich nie greifen, sondern konnte immer wieder problemlos übererfüllt werden. Auch die Corona-Krise und den Beginn der Energiekrise wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurden zunächst gut verkraftet, weil unmittelbar einsichtig war, dass die Ausnahmeregel für entsprechende Unterstützungsmaßnahmen aktiviert werden musste. Insofern mochte es fast plausibel erscheinen, dass die Schuldenbremse über eine ausreichende Flexibilität verfügte, um auch auf größere Herausforderungen reagieren zu können.

Dass dieser Eindruck falsch war, hatte sich jedoch spätestens zu Beginn der Ampelkoalition gezeigt, als die Politik der großvolumigen Nutzung von kreditbefüllten Sondervermögen zur Erzeugung von mehrjährigen Haushaltsspielräumen begann. Um wesentliche Klima- und Transformationsausgaben für die nächsten Jahre stemmen zu können, wurde der KTF – in der nun als verfassungswidrig eingestuften Art und Weise – mit ungenutzten Corona-Kreditermächtigungen befüllt. Doch damit nicht genug: Als Reaktion auf die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine musste die Aufstockung der Verteidigungsausgaben mittels Grundgesetzänderung als Kredit finanziertes Sondervermögen außerhalb der Schuldenbremse realisiert werden, weil die Schuldenbremse andernfalls keinen Spielraum gelassen hätte. Schließlich wurden auch Ausgabenbedarfe durch die Strom- und Gaspreisbremsen im so genannten Doppelwumms durch ein Sondervermögen neben der Schuldenbremse realisiert. All diese Operationen hatten die Schuldenbremse also bereits ad absurdum geführt, weil sie hinlänglich belegten, dass sie im Rahmen des Kernhaushalts und ohne solche Operationen eben keine hinreichend großen Spielräume aufwies, um mit den neuen transformations-, verteidigungs- und energiepolitischen Herausforderungen umgehen zu können. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schränkt die möglichen finanzpolitischen Spielräume nun drastisch ein. Eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz ist daher notwendig.

"Goldene Regel", Obergrenze, EU-Fiskalregeln und Übergangsfristen

Erstens sollten öffentliche (Netto-)Investitionen in geeigneter Definition von der Schuldenbremse ausgenommen werden, damit sie unabhängig von der Haushaltslage und evtl. bestehendem Konsolidierungsdruck sicher getätigt werden können („Goldene Regel“). Um Sorgen bezüglich der Übernutzung und mangelnder Nachhaltigkeit zu zerstreuen, könnte eine Obergrenze von zum Beispiel einem Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP) angesetzt werden. Konflikte mit den EU-Fiskalregeln ließen sich vermeiden, wenn diese bei der anstehenden Reform entsprechend angepasst würden.

Zweitens sollte über mehrere Jahre ein schrittweiser Ausstieg aus der Nutzung von Notlagenkrediten ermöglicht werden, damit nach Ende der Notlage keine abrupten Konsolidierungsschritte gefordert werden. Bei Einführung der Schuldenbremse mussten die hohen Defizite aus der Finanzkrise auch nicht in einem Schlag reduziert werden, sondern es gab eine Übergangsfrist von sechs Jahren für den Bund und zehn Jahren für die Länder.

Drittens sollte die Tilgungspflicht für Notlagenkredite entfallen. Nominale Schuldentilgungen sind aus ökonomischer Sicht nicht nötig, um Nachhaltigkeit der Staatsversschuldung zu gewährleisten und könnten stattdessen auch zu einer Überkonsolidierung und unnötig verengten Spielräumen in der Zukunft führen.

Viertens schließlich sollte das Kontrollkonto der Schuldenbremse symmetrisch bewirtschaftet werden. Das heißt, es sollten nicht nur Überschreitungen einen Schwellenwertes erfasst und durch entsprechende Kürzung der Haushaltspielräume im den Folgejahren negativ sanktioniert werden, sondern es sollten auch früher erzielte Überschüsse durch Übererfüllung der Schuldenbremse für höhere Ausgaben in der Zukunft eingesetzt werden dürfen.


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