Liebe geht durch den Magen. Das Kennenlernen fremder Kulturen auch. Dafür setzt sich der Düsseldorfer Verein Mosaik e.V. ein. Seine Koch-Veranstaltungen zählen zu den beliebtesten Veranstaltungen des Vereins. Wir haben den Verein beim gemeinsamen Kochen im Düsseldorfer Café "grenzenlos" besucht. Viele Aktive im Verein kommen aus der IG Metall – zum Beispiel die Betriebsräte Abdullah Yilmaz und Ayhan Üstün.
Der Verein Mosaik e.V. ist für alle offen: Jung und alt, arm und reich, Deutsche, Zugewanderte und Flüchtlinge Ulrike Reinker
Francesco Abate rührt mit einem langen Holzlöffel durch den großen Kochtopf. Den Löffel hat der 70-Jährige Italiener mit beiden Händen gepackt. Im Topf dampft eine tomatenrote Suppe aus Elch-Fleisch, mit Pfifferlingen verfeinert.
Einer der Mosaik-Vereinsgründer ist Nihat Öztürk, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Düsseldorf-Neuss. Auch zwei IG-Metall-Betriebsräte vom Stahlrohrhersteller Vallourec sind im Verein aktiv: Abdullah Yilmaz und Ayhan Üstün.
Nihat Öztürk, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Düsseldorf-Neuss IG Metall Düsseldorf-Neuss
Hinter Abate stehen Abdullah und Ilkay Yilmaz sowie Ayhan und Suzan Üstün – dabei ist die Küche nur acht Quadratmeter groß. Mit schnellen Handgriffen formen die beiden türkischen Ehepaare rohes Rindfleisch zu drei Zentimeter dicken Frikadellen (türkisch „Köfte“). Petersilie und Zwiebeln sind schon in die Fleischmasse eingearbeitet, abgeschmeckt mit Paprikapulver und Kreuzkümmel. Die Frikos landen in einer großen Pfanne, brutzeln in siedend heißem Öl ein paar Minuten vor sich hin.
Es ist Samstagabend, wir sind im „grenzenlos“, einem Café-Restaurant der besonderen Art im Düsseldorfer Stadtteil Bilk – wo einst Ferdinand Lasalle wohnte, der Präsident der ersten sozialdemokratischen Parteiorganisation in Deutschland. Das „grenzenlos“ nennt sich „Eine Initiative gegen den Verlust gesellschaftlicher Kontakte“. Das Frühstück kostet 1,50 Euro oder 3 Euro, das Mittagsmenü 2,50 Euro oder 5 Euro: Wer arm ist, zahlt weniger. Wochentäglich (außer samstags und sonntags) werden 60 bis 90 Essen verkauft. Das Lokal lebt von Spenden. Im Beirat sitzt viel Prominenz: zum Beispiel der Landesarbeitsminister, der Oberbürgermeister der Stadt und die Regierungspräsidentin von Düsseldorf.
Ulrike Reinker
Gründer und Vereinsvorsitzender von „grenzenlos“ ist Walter Scheffler, einst Dozent der Fachhochschule Düsseldorf für Sozial- und Kulturwissenschaften. Sein Konzept lautet: „Unsere Besucher sind Gäste, keine Almosenempfänger!“ Ob arm oder reich: Alle bekommen das gleiche Essen, alle werden gleich behandelt.
Inspiriert hat ihn der linke französische Komödiant Coluche (bekannt durch Filme wie „Brust oder Keule“ mit Louis de Funes). Coluche ist Initiator der Initiative Les Restos du Cœur (deutsch: Die Restaurants des Herzens). „Der Spiegel“ nennt sie „Kantinen für alle, die hungern“.
2016 wurden 125 Gäste befragt: Sie sind zwischen 24 und 87 Jahre alt, im Schnitt 61. Die meisten kommen aus der Nachbarschaft, sind ledig oder geschieden, kommen zwar allein ins „grenzenlos“, bleiben es aber nicht – 71 Prozent der Gäste nehmen Kontakt zu anderen Gästen auf. Ihre Haupteinkommen sind Rente und Hartz IV (nur zwölf Prozent sind Vollzahler). „Unsere Gäste kommen aus allen Alters- und Berufsgruppen“, sagt Wolfgang Scheffler. „Eins haben sie gemein: Sie leben in versteckter Armut.“
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Aus der Küche von „grenzenlos“ zieht der Duft von Köfte ins Restaurant. Auf der Durchreiche stehen jetzt auch die Köttbullar, schwedische Hackfleischbällchen, die ähnlich wie Frikadellen und Köfte zubereitet werden: Ei, Paniermehl, Zwiebeln. „Und ähnlich schmecken“, sagt Hildegard Düsing-Krems von Mosaik. Die Schweden-Liebhaberin – „Wir haben ein Ferienhaus da“ – hat sie zuhause gebraten. Sie werden mit Preiselbeerkompott und Kartoffelpüree serviert. Köttbullar ist das Leibgericht von „Karlsson auf dem Dach“, einer Romanfigur der Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, und stehen in jedem IKEA-Restaurant auf der Speisenkarte.
Gegen 19 Uhr sind alle 40 Stühle im Restaurant besetzt. Zu Elchfleischsuppe, Köfte und Köttbullar kommen rote und grüne Oliven, getrocknete Tomaten, Kichererbsenmus, Granatapfeldips, Wildwurst auf Knäckebrot, halbe Eier mit Kaviarpaste und „Flusskrebsschwänze an Nudelsalat, Blaubeeren und einer Himbeere“.
Unter den Gästen sind auch zwei junge Flüchtlingsfamilien, aus Syrien und Afghanistan. Die Afghanin Khadija Ibrahimi Afzali, eine Lehrerin, kennt Mosaik schon länger; aus der Zeit, als der Verein aus Düsseldorf-Eller mit den Flüchtlingen dort gemeinsam gefeiert hat. Mosaik-Vize Abdullah Yilmaz erinnert sich: „Ich habe geweint, als ich gesehen habe, wie glücklich die Menschen waren – zumindest für ein, zwei Stunden.“ Damals trug Khadija Ibrahimi Afzali noch ein Kopftuch, heute nicht mehr. Sie redet mit blitzenden Augen und wirkt glücklich im "grenzenlos".
Doch sie soll abgeschoben werden.
Sind von Abschiebung bedroht: Khadija Ibrahimi Afzali (r.) und ihre Familie Ulrike Reinker
Abdullah Yilmaz begnügt sich mit Tomaten und Oliven: „Ich bin Veganer“, sagt der Zerspanungsmechaniker, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender beim Stahlrohrhersteller Vallourec in Düsseldorf-Reisholz. Sein Mit-Koch Ayhan Üstün ist dort Betriebsratsvorsitzender. Die hohe Metaller-Quote bei Mosaik ist nicht verwunderlich: Einer der Vereinsgründer ist Nihat Öztürk, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Düsseldorf-Neuss. Er verbindet mit Mosaik die Hoffnung, „dass die Menschen in ihrer nationalen, kulturellen und politischen Vielfalt ihr Miteinander gemeinsam gestalten“. Voraussetzung dafür sei „die Verpflichtung zu Aufklärung – und die Akzeptanz der republikanischen Idee von der Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen“.
Im Evangelischen Gemeindezentrum in Düsseldorf-Eller veranstaltet Mosaik einmal im Monat einen Kaffeehausabend: Er beginnt mit einem Multikulti-Imbiss, dann wird diskutiert. Beispielsweise über Frauenrechte in der Türkei. Die „Mosaiksteinchen“, wie sich die Vereinsmitglieder selbst nennen, organisieren Studienfahrten ins In- und Ausland sowie einen Sprachentreff, sie engagieren sich in Düsseldorf gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung und bieten Kochworkshops an: „Kieler Sprotte trifft Schwarzmeer-Sardine“ oder, wenn es italienisch-türkisch schmecken soll, „Pizza trifft Lahmacun“.
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2015 hat Mosaik den Friedenspreis der Düsseldorfer Friedensbewegung erhalten.
Text: Norbert Hüsson; Fotos: Ulrike Reinker