Vergangene Woche hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Woche ein Urteil gefällt, das die Handlungsfähigkeit des Staates massiv einschränkt. Die Politik muss nun schnell und vernünftig handeln, sonst droht eine fatale Entwicklung. Es braucht zu dem eine Reform der Schuldenbremse. Denn mangelnde Zukunftsinvestitionen sind ein Problem, eine etwas höhere Verschuldung nicht.
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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat vergangene Woche ein Urteil gefällt, dass die Handlungsfähigkeit des Staates massiv einschränkt. Wenn die Politik nicht schnell und vernünftig reagiert, droht eine fatale Entwicklung.
Die Schuldenbremse enthält eine Klausel, mit der die Begrenzung der staatlichen Neuverschuldung aufgrund einer Notlagensituation durch Parlamentsmehrheit ausgesetzt werden kann. Diese Ausnahmeregel legt das BVerfG jetzt sehr eng aus. Es schreibt unter anderem vor, dass zwischen der zugrundeliegenden Notsituation und den mit Notkrediten finanzierten Maßnahmen ein enger Zusammenhang bestehen muss. Außerdem muss das "Jährlichkeitsprinzip" beachtet werden: Kredite müssen in dem Jahr abgerufen werden, in dem sie bereitgestellt wurden.
Das BVerfG hat damit den 2. Nachtragshaushalt 2021 für nichtig erklärt. Dieser verschob Notfall-Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro, die zur Corona-Krisenbekämpfung beschlossen, aber nicht benötigt worden waren, in den Klima- und Transformationsfonds (KTF), um sie in den Folgejahren für die Transformation zu nutzen.
Mittlerweile zeichnet sich ab, dass nicht nur diese Mittel durch das Urteil wegfallen. Auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) und viele andere mit Notkrediten gespeiste Sondervermögen bei Bund und Ländern sind in Gefahr. Eine umfangreiche Haushaltssperre wurde verhängt. Der 100-Milliarden-Fonds für die Bundeswehr dürfte aber unbeschadet bleiben, weil er mit zwei Drittel Mehrheit in die Verfassung geschrieben wurde.
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Die Regierungsparteien hatten sich im Koalitionsvertrag auf ein "Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen" festgelegt. SPD; Grüne und FDP hatten verstanden, dass Klimaschutz, eine erfolgreiche Transformation, gute Bildung und eine Modernisierung des Landes zusätzliche kreditfinanzierte öffentliche Investitionen in Höhe von vielen Milliarden Euro nötig machen. Sie gingen bislang davon aus, das über die verschiedenen Sondervermögen finanzieren zu können, ohne die Schuldenbremse zu verändern.
Diesen Weg hat das BVerfG jetzt versperrt. Die Bundesregierung muss deshalb – am besten gemeinsam mit der Opposition –schnellstmöglich einen anderen Weg wählen, um die Haushaltssperre zu beenden und die notwendigen Investitionen voranzubringen. Passiert das nicht, drohen ein Konjunktureinbruch und langfristig extreme wirtschaftliche und soziale Verwerfungen.
Für 2023 will die Bundesregierung die Schuldenbremse nun konsequenterweise wegen Notlage aussetzen. Dasselbe muss mit Hinweis auf die anhaltende Energiekrise auch für 2024 geschehen.
Außerdem müssen auch CDU/CSU jetzt einsehen, dass die neu ausgelegte Schuldenbremse nicht mehr einem modernen Staatswesen entspricht und reformiert werden muss: Es ist sinnvoll, neue Investitionen mit Krediten zu finanzieren, deshalb müssen diese künftig von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Mangelnde Zukunftsinvestitionen sind ein Problem, eine etwas höhere Verschuldung nicht – Deutschlands Schulden sind ohnehin vergleichsweise niedrig (s. Grafik).
Bis zur Reform der Schuldenbremse muss die Bundesregierung alle trotzdem noch vorhandenen Möglichkeiten zur Kreditaufnahme nutzen. Auf keinen Fall dürfen Ausgaben gekürzt werden. Das wäre unsozial und fortschrittsfeindlich.
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