Die Europäischen Kommission legte Ende 2016 ein Legislativpaket unter dem Titel „Clean Energy for all Europeans“ zur Weiterentwicklung des europäischen Energiemarktes vorgelegt. Das umfangreiche Dossier soll einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der EU-Klima- und Energieziele liefern und zugleich den gemeinsamen europäischen Energiebinnenmarkt vorantreiben.
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Im EU-Parlament werden derzeit acht Legislativvorschläge verhandelt: Die wesentlichen Herausforderungen, vor denen der Energiemarkt steht, sind einerseits die zunehmend dezentrale, volatile Stromerzeugung, basierend auf erneuerbaren Energieträgern sowie die Reduktion des Energieverbrauchs, und andererseits die Digitalisierung des Energiemarktes – „Smart Meter“ und „Smart Grid“. Die Antworten der EU-Kommission auf diese Entwicklungen bestehen im Wesentlichen in einer Flexibilisierung sowohl der Energienachfrage als auch der Energiepreise. Das führt zu einer immer stärkeren Finanzialisierung des Energiemarkts, auch für private Haushalte.
Der Vorschlag zur Reform der Energieeffizienz-Richtlinie sieht eine verbindliche EU-weite Steigerung der Energieeffizienz um 30% bis 2030 vor, ausgedrückt in Form eines absoluten Einsparungsziels. Ein ganz wesentlicher Punkt wurde dabei jedoch verabsäumt: Nämlich die Festlegung von verbindlichen Energieeffizienzzielen für die einzelnen Mitgliedstaaten. Bei den erneuerbaren Energien wird sogar ein Rückschritt zur derzeitigen Regelung vorgesehen: Bis 2030 ist nur mehr ein EU-weites Ziel für einen Anteil der erneuerbaren Energien von mindestens 27% vor. Verpflichtende nationale Ziele fehlen. In beiden Fällen hatte sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten gegen nationale verbindliche Ziele ausgesprochen. Stattdessen soll die Erreichung des EU-weiten Zieles durch eine „Governance-Verordnung“ – abgesichert werden. Danach werden der EU-Kommission direkte Eingriffsrechte in nationale Energie- und Klimastrategien gewährt, ergänzt durch „delegierte Rechtsakte“, die keine Mitbestimmung des EU-Parlamentes vorsehen. Eine deutliche Stärkung der EU-Exekutive also.
Einige Regelungen im Energiepaket gehen über die klimapolitischen Notwendigkeiten hinaus: So verfolgt die EU-Kommission offensiv die Strategie der Finanzialisierung des Energiesystems. Danach sollen private Haushalte künftig mit stark schwankenden Energiepreisen konfrontiert werden und sich, falls gewünscht, gegen Preisschwankungen versichern können.
Volatile, zeitabhängige Preise sollen Kund-Innen animieren, ihren Stromverbrauch flexibel an das stark fluktuierende Stromangebot anzupassen. Die Vorstellung der EU-Kommission, wonach private Haushalte quasi zu „Strombörse-Händler-Innen“ werden und ihren Verbrauch in 15-Minuten-Intervallen flexibel an das schwankende Stromangebot anpassen, spiegelt aber nicht die Realität und den Alltag der Menschen wider. Die überwiegende Mehrheit der Haushaltskund-Innen kann die Vorteile zeitabhängiger, flexibler Strompreise nicht nützen und müssen künftig höhere Strompreise bezahlen, wenn sie in Zeiten hoher Stromnachfrage, wie am Morgen oder in den frühen Abendstunden, den meisten Strom benötigen. Der Fokus zur besseren Abstimmung von Angebot und Nachfrage sollte aber bei den Stromerzeugern und bei Großverbrauchern liegen, da sie über ein deutlich höheres Potenzial zur Flexibilität verfügen.
Jene Fehler, die am Finanzmarkt gemacht wurden und wesentliche Ursache für die Finanzkrise 2008 waren, sollen also auf die sensible Energieversorgung übertragen werden. Die Lieferung von Strom zu moderaten Tarifen unabhängig von der Tageszeit ist eine Dienstleistung im allgemeinen Interesse und darf nicht dem Markt überlassen werden. Fragwürdig ist auch die Bevorzugung sogenannter „Aggregatoren“ (Drittunternehmen, die zwischen Anbietern und Abnehmern geschaltet sind). Sie sollen möglichst ungehindert mit neuen Geschäftsmodellen den Energiemarkt für Haushaltskund-Innen attraktiver machen, indem sie z.B. ganze Energie-Pauschal-Pakete anbieten. Diese Aggregatoren sollen zahlreiche Privilegien genießen, aber von sämtlichen Pflichten weitgehend befreit sein. Erfahrungen aus dem Bereich der Nah- und Fernwärme zeigen aber, dass die Beteiligungen von Aggregatoren häufig mit hoher Intransparenz, sowohl bei der Preisbildung als auch bei der Abrechnung, sowie mit undurchsichtigen Vertragskonstellationen und rechtlichen Problemen für private Kund-Innen verbunden sind. Konsumentenrechtlichen Rahmenbedingungen, wie z.B. bezüglich Datenschutz oder Versicherung (z.B. bei Schäden aufgrund von Spannungsschwankungen) fehlen.
Die vorgeschlagene Aufwertung von EU-Agenturen, ohne diese davor in Hinblick auf Transparenz, Kompetenz und Kontrollmöglichkeiten zu durchleuchten, ist aus demokratiepolitischer Sicht kritisch zu sehen. Eine enge Kooperation zwischen den EU-Mitgliedstaaten– wie z.B. grenzüberschreitender Netzausbau oder Krisenmanagement – ist ohne Zweifel wichtig. Allerdings sollten rechtsverbindliche Entscheidungen durch Verwaltungsbehörden und nicht durch dezentrale Agenturen mit fragwürdiger Legitimierung getroffen werden. Dies wird aber forciert, indem die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) aufgewertet werden sollen. Daher sollten die Zuständigkeiten und Befugnisse der Agenturen keinesfalls erweitert werden, bevor nicht ihre Organisationsstruktur, Aufgaben und Verfahrensabläufe transparenter und demokratisch ausgestaltet sind. Die Schaffung weiterer Agenturen – wie den neuen „Verband für die Europäischen Verteilnetzbetreiber“ (EU-DSO), „Regionale Betriebszentren“ (ROC) oder regionaler Krisenmanager – ist keine Lösung, sondern verschärft das Problem.
Die EU-Kommission möchte die nationaleren Fördersysteme für den Ausbau von erneuerbaren Energie-Erzeugungsanlagen auch für grenzüberschreitende Projekte öffnen. Damit könnten Fördergelder, die von den Stromverbraucher-Innen in einem Mitgliedstaat aufgebracht werden, für den Bau von Photovoltaik- oder Windkraftanlagen in anderen EU-Ländern eingesetzt werden. Dieser Schritt ist aus zwei Gründen abzulehnen: Erstens reduziert die grenzüberschreitende Öffnung der Fördersysteme den Anreiz für die Mitgliedstaaten, den Umstieg ihrer fossilen oder nuklearen Stromerzeugung auf Erneuerbarer Energien im eigenen Land voranzutreiben. Zweitens besteht die Gefahr, dass es aufgrund der unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen – wie z.B. bei Umweltauflagen und Sozialstandards – zu einem negativen Wettbewerb der Standards kommt – mit ähnlichen Folgen, wie wir sie aus dem Steuerwettbewerb zwischen Ländern kennen.
Seit langem steht die Politik der EU-Kommission für Liberalisierung. Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen Entflechtungsvorschriften für Übertragungsnetzbetreiber mit besonderer Vorsicht zu genießen. Denn es ist davon auszugehen, dass die EU-Kommission damit eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungsnetze von ihrem Mutterkonzern bezweckt. Dies hätte einen Zwang zum Verkauf des Übertragungsnetzes zur Folge, quasi eine Privatisierung durch die Hintertür. Auch die verpflichtende Öffnung bestehender Wärme- und Kältenetzen für Dritte ist nicht nur physikalisch problematisch, es fahlen auch sämtliche Konsument-Innenschutzvorschriften.
Positiv ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Zahl der von Energiearmut betroffenen Menschen zu erheben. Eine zentrale Voraussetzung, um zielgerichtet Maßnahmen ergreifen zu können. Bedauerlich ist allerdings, dass immer noch klarere Vorgaben zu effektiven Maßnahmen gegen Energiearmut fehlen, und dass der Einsatz von Instrumenten zu ihrer Bekämpfung, wie etwa regulierte Preise eingeschränkt wird. Für energiearme Haushalte müssen diese in fünf Jahren auslaufen.
Kritisch zu bewerten ist die Berücksichtigung von Atomenergie zur Erreichung der EU-Klima- und Energieziele. Die Lehren aus Fukushima und Tschernobyl haben gezeigt, dass Kernenergie keinen Platz in einer nachhaltigen Energieversorgung hat. Dennoch setzen viele Mitgliedstaaten weiterhin auf diese Form der Energieproduktion und negieren damit die Gefahren der Anlagen und die weiterhin ungeklärte Frage der Endlagerung der atomaren Abfälle bzw. der Sozialisierung der Schäden. Gerade bei diesem Thema wären zukunftweisende – und zumindest EU-weite – Regelungen enorm wichtig, da sich die Auswirkungen von Unfällen bei Atomkraftwerken nicht um nationalstaatliche Grenzen kümmern.
von Dorothea Herzele, AK Wien