Nach der Rede EU-Kommissionspräsidentin Ursala von der Leyen zur Lage der EU ist es weiterhin unklar, wie die EU mit den höheren Staatsschulden im nächsten Jahr umgehen soll. Zwar wurde das Verschuldungsverbot kurzfristig aufgehoben, dennoch müssen die EU-Schuldenregeln langfristig überarbeitet werden.
DGB
Letzte Woche hat Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament ihre Rede zur Lage der Union gehalten. In dieser Rede setzen die PräsidentInnen der EU-Kommission traditionell die Schwerpunkte für das kommende Jahr. Dieses Mal fiel auf, was die Präsidentin im Bereich Wirtschaftspolitik nicht thematisierte: Es bleibt weiterhin ungeklärt, wie die EU mit den höheren Staatschulden der Mitgliedstaaten in den nächsten Jahren umgehen wird.
Dabei haben die EU-Institutionen in den letzten Wochen eine erfreulich überraschende Handlungsfähigkeit bewiesen: Derzeit wird über ein 750 Milliarden Euro schweres wirtschaftliches Aufbauprogramm verhandelt. Dafür verabschiedeten sich die Mitgliedstaaten zeitlich befristet von dem Verschuldungsverbot auf Gemeinschaftsebene. Eine solche Kehrtwende in der EU-Fiskalpolitik ist richtig und war längst überfällig. Für die wirtschaftliche Erholung der Mitgliedstaaten ist es aber darüber hinaus unverzichtbar, die EU-Schuldenregeln generell zu überarbeiten.
Denn zur Stützung ihrer Wirtschaft haben die Mitgliedstaaten in den letzten Monaten viel Geld in die Hand genommen. Allein in Deutschland beträgt die Neuverschuldung dieses Jahr bis zu 218,5 Milliarden Euro. Auch im nächsten Jahr wird sie voraussichtlich noch knapp 100 Milliarden Euro betragen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen Mitgliedstaaten werden die Schuldenquoten dieses Jahr daher deutlich zunehmen. (siehe Grafik).
Quelle: EU-Kommission /Ameco
Die europäischen Fiskalregeln erlauben aber maximal einen Schuldenstand von 60 Prozent in Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Liegt ein Mitgliedstaat darüber, muss er gemäß eines streng definierten Tilgungsplans seine Schulden abbauen, andernfalls drohen Sanktionen. Träten die EU-Fiskalegeln – wie von Ex-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis kürzlich gefordert – nach Überwindung der Rezession unverändert in Kraft, wäre ein harter Konsolidierungskurs mit Ausgabenkürzungen die Folge. Dadurch wäre der Aufschwung gefährdet und die staatliche Handlungsfähigkeit bedroht.
Der DGB fordert deshalb, dass die EU-Fiskalregeln so lange ausgesetzt bleiben, bis die wirtschaftliche Erholung sich stabilisiert hat und erst wieder in Kraft treten, nachdem sie grundlegend reformiert wurden: Die zulässige Höchstverschuldung sollte an die neue Realität angepasst werden. Auch angesichts historisch niedriger Zinsen sind höhere Schuldenstände dauerhaft tragfähig. Für höhere Staatsausgaben hat jüngst sogar die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, geworben. Zudem sollten öffentliche Investitionen generell – etwa durch die Einführung einer „goldenen Regel“, von den Schuldenregeln ausgenommen werden.
Schließlich sollte der Fiskalpakt abgeschafft werden, der viele EU-Staaten verpflichtet, eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in den nationalen Verfassungen zu verankern. Insgesamt sollte sich die EU-Wirtschaftspolitik von ihrer Fixierung auf das Ziel der der Budgetkonsolidierung lösen. Weitere auch in den Verträgen verankerte wirtschaftspolitische Zielsetzungen, wie Vollbeschäftigung, soziale Konvergenz und ökologische Nachhaltigkeit sollten stärker in den Fokus treten.
Die Europäische Kommission hat Ende Mai 2020 ein umfangreiches Maßnahmenpaket für den wirtschaftlichen Aufbau in der EU vorgelegt. In dieser Position nimmt der DGB eine erste Bewertung der Maßnahmen vor und macht darüber hinaus Vorschläge, wie ein solidarischer und nachhaltiger wirtschaftlicher Neustart in der EU gelingen kann.