- Nutzen die EU-Programme "Better Regulation" und "REFIT" allen - oder nur der Wirtschaft?
- Was bedeuten die EU-Programme "Better Regulation" und "REFIT" für Arbeitnehmerrechte?
Mit den EU-Programmen "Better Regulation" und "REFIT" will die EU-Kommission Bürokratie abbauen und europäisches Recht vereinfachen. Gelingt das? Oder ist der Effekt vielmehr, dass Arbeitnehmerrechte, Umwelt- und Sozialstandards abgebaut werden? Wir geben Antworten auf die häufigsten Fragen zum Thema Bürokratieabbau in der EU.
Die Ausrichtung von REFIT und Better Regulation zeigt, dass es vor allem um die Entlastung der Wirtschaft geht. Die Interessen von Beschäftigten und Verbrauchern fallen nicht ins Gewicht. DGB
FAQ: Die wichtigsten Fragen und Antworten
zu Better Regulation und REFIT
Unter dem Begriff Better Regulation (Deutsch: „Bessere Rechtsetzung“) fasst die EU-Kommission ihre Aktivitäten zum Bürokratieabbau und für eine effektivere „EU-Gesetzgebung“ zusammen. Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, der Niederländer Frans Timmermans, ist „EU-Kommissar für Bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtstaatlichkeit und Grundrechtecharta“. Am 19. Mai 2015 hat Timmermans ein umfangreiches Paket zum Thema „Better Regulation“ vorgelegt.
Bereits im Dezember 2012 startete die Kommission das sogenannte REFIT-Programm (Abkürzung für: "Regulatory Fitness and Performance programme") zur „Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung“. Erklärtes Ziel der EU-Kommission ist es, Bürokratie und unnötige Regulierungslasten abzuschaffen. Zu diesem Zweck wird der gesamte Bestand an EU-Rechtsvorschriften auf Verwaltungslasten, Unstimmigkeiten, Lücken oder wirkungslose Maßnahmen untersucht – in den Worten der Kommission einem „Fitnesscheck“ unterzogen.
Beide Programme haben also das erklärte Ziel, unnötige bürokratische Vorgaben im EU-Recht abzubauen.
Bürokratieabbau und effektive Rechtsetzung ist das erklärte Ziel der EU-Kommission, das der DGB auch grundsätzlich begrüßt. Das Problem: Nicht jede Regelung, die Wirtschaft und Unternehmen bestimmte Vorgaben macht, ist „unnötige Bürokratie“ oder „Überregulierung“. Der DGB sieht deshalb vor allem mit Sorge, dass derzeit auch Regelungen mit Sozial-, Umwelt-, und Verbraucherschutzstandards auf dem Prüfstand stehen. Besonders problematisch sind aus Sicht des DGB auch die Überprüfungen in den Bereichen Arbeitsrecht, Arbeitsschutz und Mitbestimmung.
Das Paket enthält insgesamt acht Dokumente:
Bürokratieabbau soll Geld sparen. Aber wem? Better Regulation und REFIT setzen auf Kostenersparnisse für die Wirtschaft. Gesamtgesellschaftliche Kosten oder Nutzen eines Gesetzes bleiben hingegen außer Acht. DGB
Initiativen zum Bürokratieabbau laufen auf EU-Ebene bereits längere Zeit. Die Europäische Kommission arbeitet bereits seit 2001 daran, die Europäische Rechtsetzung zu vereinfachen und bürokratische Hürden abzubauen. 2007 wurde hierzu die „Hochrangige Gruppe im Bereich Verwaltungslasten“ („The High Level Group on Administrative Burdens“) unter dem Vorsitz des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (die so genannte Stoiber-Gruppe) eingerichtet, die die Europäische Kommission seitdem beim Thema Bürokratieabbau berät. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gelegt: 2012 wurden in einer Konsultation die 10 EU-Rechtsakte mit dem größten Verwaltungsaufwand für KMU ermittelt. Im Dezember 2012 wurde dann das REFIT-Programm gestartet.
Recht weit: Konkrete Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch und erste Schritte zur Umsetzung sind bereits gemacht.
REFIT Nach dem Start von REFIT im Dezember 2012 hat die EU-Kommission im Oktober 2013 eine erste Bestandsaufnahme vorgelegt, die nach Politikbereichen auflistete, welche Rechtsvorschriften vereinfacht, aufgehoben oder zurückgenommen werden sollen. Außerdem kündigte die Kommission an, künftig jährlich in einem „Scoreboard“ zu veröffentlichen, wie europäisch und national der Stand der Entwicklung ist. Ein solches Scoreboard veröffentlichte die Kommission erstmals im Juni 2014 gemeinsam mit ihrer Mitteilung „REFIT: Bestandsaufnahme und Ausblick“. Das Scoreboard umfasst 133 Vorschläge zum „Bürokratieabbau“. Auch das Better-Regulation-Paket enthält bereits eine Aktualisierung des Scoreboard mit 164 Vorschlägen zum „Bürokratieabbau“.
Better Regulation Das Better-Regulation-Paket wurde vom Ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission, Frans Timmermans, im Mai 2015 vorgelegt. Das Paket enthält unter anderem einen Vorschlag für eine „interinstitutionelle Vereinbarung“ zwischen Kommission, Rat und Europäischem Parlament zum Thema „Better Regulation“. Nach halbjährigen intensiven Verhandlungen haben sich die Verhandlungsführer von Rat, Kommission und Parlament im Dezember 2015 auf einen Kompromiss geeinigt. Das Ergebnis muss noch vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Der Ausschuss für Regulierungskontrolle („Regulatory Scrutiny Board“ – RSB), der laut Better Regulation Package Folgeabschätzungen und Evaluierungen in der Europäischen Rechtssetzung überwachen soll und Rechtssetzungsvorhaben aufhalten kann, wurde am 1. Juli 2015 bereits eingerichtet. Eingerichtet wird derzeit auch die so genannte REFIT-Plattform.
Die Ausrichtung von REFIT und Better Regulation zeigt, dass es vor allem um die Entlastung der Wirtschaft geht. Die Interessen von Beschäftigten und Verbrauchern stehen nicht im Fokus. Diese einseitige Ausrichtung kritisiert der DGB.
Ein Beispiel: Im Rahmen der Bürokratieabbau-Programme der EU wird untersucht, wie hoch die (Folge-)Kosten einer Regelung sind. Nicht untersucht wird allerdings, wie hoch die (gesamtgesellschaftlichen) Folgekosten sind, wenn es keine Regelung mehr gäbe. So wird bei Arbeitsschutzvorschriften zwar untersucht, welche Kosten sie für Unternehmen verursachen. Es wird aber nicht umfassend untersucht, welche Kosten arbeitsbedingte Erkrankungen der Beschäftigten verursachen würden, wenn es keine entsprechenden Arbeitsschutzvorschriften gibt.
Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber wurde 2007 zum Vorsitzenden einer EU-Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau ernannt – der „The High Level Group on Administrative Burdens“ im Zuständigkeitsbereich des deutschen EU-Industriekommissars Günter Verheugen. Diese so genannte Stoiber-Gruppe legte im Oktober 2014 ihren Abschlussbericht vor. Nach eigenen Angaben haben die Vorschläge der Gruppe europäischen Unternehmen 33 Milliarden Euro eingespart.
Gemeinsam haben die „Stoiber-Gruppe“ sowie Better Regulation und REFIT also das erklärte Ziel des „Bürokratieabbaus“ – für Unternehmen. Ein unmittelbarer personeller Zusammenhang zwischen Stoiber-Gruppe, REFIT und Better Regulation besteht allerdings nicht. Die Verantwortung für das Thema Better Regulation, beziehungsweise Bürokratieabbau liegt heute beim Ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans. Stoiber wurde im Dezember 2014 von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zum „Special Adviser on Better Regulation“ („Sonderberater für bessere Rechtsetzung“) ernannt. Im Dezember hat 2015 Stoiber angekündigt, dass er sein Amt als Sonderberater aufgibt.
Der DGB befürchtet: Auch auf Arbeitsschutz-Regeln könnten sich Better Regulation und REFIT negativ auswirken. DGB
Ja, wichtige geplante Richtlinien und Reformen wurden bereits mit Verweis auf die Aktivitäten zum Bürokratieabbau auf die lange Bank geschoben oder zurückgezogen.
Beispiel Krebsrichtlinie: In der EU sterben jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen an berufsbedingtem Krebs. Trotzdem verschleppen sowohl die alte als auch die neue EU-Kommission unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus seit Jahren eine Reform der völlig veralteten Krebsrichtlinie. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat das schon bemängelt: Seit Oktober 2013 würden verbindliche Standards und Arbeitsschutz-Regeln für Chemikalien, die Krebs verursachen, verschleppt, so der EGB. Bis zu 150.000 Menschen seien an berufsbedingtem Krebs gestorben, während die EU-Kommission "bessere Rechtsetzung evaluiere", erklärte der EGB.
Beispiel Mitbestimmung: Auch Mitbestimmungsrechte stehen zur Disposition. Drei Richtlinien, in denen es um Mindeststandards bei Information und Konsultation von Beschäftigten geht, unter anderem bei Massenentlassungen und Unternehmensübergängen, sollen erneut überprüft werden. Dabei hatte bereits 2012 eine Studie im Auftrag der Kommission ergeben, dass die Vorschriften weitgehend „zweckmäßig“ seien und keiner Überarbeitung bedürften. „Warum eine neue Prüfung, die doppelte Arbeit bedeutet und somit dem Auftrag des Bürokratieabbaus sogar widerspricht? Weil die Kommission offenbar der so alten wie falschen Argumentation folgt, dass Regeln per se Hindernisse für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit seien“, kommentiert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach.
Eine Befürchtung ist, dass demokratische Entscheidungen und Kompromisse durch technokratische Entscheidungen ersetzt oder revidiert werden können: Das Better-Regulation-Paket sieht für die europäische Gesetzgebung eine verpflichtende „Folgeabschätzung“ vor, wenn ein Vorschlag der EU-Kommission im weiteren Gesetzgebungsprozess (zum Beispiel vom Europäischen Parlament) „wesentlich verändert“ wird. Der DGB sieht die Gefahr, dass demokratische Prozesse so teilweise ausgehebelt werden. Im Rahmen der Verhandlungen zur Interinstitutionellen Vereinbarung wurde der Kommissionsvorschlag wesentlich entschärft. Demnach entscheiden Rat und Europäisches Parlament grundsätzlich selber über die Durchführung von Folgeabschätzungen.
Weiterhin soll ein so genannter Ausschuss für Regulierungskontrolle („Regulatory Scrutiny Board“ – RSB) zukünftig geplante Rechtssetzung aufhalten können. Dieses siebenköpfige Expertengremium wird von der EU-Kommission ernannt und soll weitgehend unabhängig arbeiten.
Ja. Zum einen sind aus Sicht des DGB die Überprüfungen in den Bereichen Arbeitsrecht, Arbeitsschutz und Mitbestimmung besonders problematisch. Diese Bereiche betreffen unmittelbar die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie ihrer Interessenvertreter. Zum anderen kann Better Regulation auch ganz konkret Auswirkungen auf gewerkschaftliche Rechte in Europa haben. Im Rahmen des „Sozialen Dialogs“ (Europäischer Sozialdialog) können die Sozialpartner, also Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, auf europäischer Ebene so genannte Sozialpartnervereinbarungen aushandeln, die sogar Gesetzeskraft entfalten können. Auch Sozialpartnervereinbarungen will die Kommission zukünftig Folgenabschätzungen unterziehen – also unter anderem einer Kosten-Nutzen-Analyse. Das heißt: Was repräsentative Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ausgehandelt haben, kann von der EU-Kommission wieder gekippt, beziehungsweise verzögert werden. Dies geschieht aktuell gerade bei einem Sozialpartnerabkommen zum Arbeitsschutz im Friseurhandwerk.
Ohnehin wird der Soziale Dialog von der EU-Kommission in den vergangenen Jahren mehr und mehr infrage gestellt: Ein Beispiel: Gemäß den Europäischen Verträgen sind die Sozialpartner vor der Unterbreitung sozialpolitischer Vorschläge anzuhören. Doch die EU-Kommission verzichtet immer häufiger auf die Anhörung der Sozialpartner und setzt allein auf öffentliche Konsultationen. So hat der Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) als Stimme von mehr als 50 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Europa im Konsultationsprozess nicht mehr Gewicht, als jeder individuelle Beitrag eines einzelnen Wirtschaftsunternehmens.