In der Corona-Krise zeigt sich, wie wichtig die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten sind - auch für die Unternehmen und Organisationen selbst. Doch was können Arbeitgeber tun, um die Arbeitsfähigkeit ihres Betriebs zu sichern, auch über die Pandemie hinaus? Wo muss die Politik handeln? Wir stellen die wichtigsten Maßnahmen und zwei Best Practice-Beispiele vor.
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Die Corona-Pandemie macht deutlich, wie wichtig die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten sind - auch für Arbeitgeber. Indem sie verlässliche Strukturen für einen betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz schaffen, tragen sie nicht nur zur Unversehrtheit des Einzelnen und seiner Familien bei, sondern sichern auch die Arbeitsfähigkeit ihrer Organisationen und Unternehmen.
Jetzt in der Krise zeigt sich, wie gut oder schlecht die Betriebe und Dienststellen in der Vergangenheit ihren Verpflichtungen nachgekommen sind. Während in industriell geprägten Branchen und in großen Unternehmen der Arbeitsschutz größtenteils gut etabliert ist, sieht es vor allem in den Bereichen, die nun als "systemrelevant" gelten, oft schlecht aus.
Das gilt vor allem für die Landwirtschaft, das Gebäudereinigerhandwerk und viele Dienstleistungsbranchen wie zum Beispiel den Einzelhandel oder die Logistik. Aber auch Teile des Baugewerbes, des Gesundheitswesens und der Pflege sind beim Arbeits- und Gesundheitsschutz schlecht aufgestellt. Je kleiner die Betriebsstrukturen in dem jeweiligen Sektor sind, desto gravierender die Mängel.
Deshalb müssen nicht nur jetzt, in der akuten Phase der Corona-Pandemie, Maßnahmen ergriffen werden, um die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen. Die Krise muss auch genutzt werden, um nachhaltige Prozesse und Strukturen im Betrieb zu etablieren.
In einem Positionspapier stellt der DGB dar, wie Arbeits- und Gesundheitsschutz effektiv und dauerhaft funktionieren kann. Es werden konkrete Aufgaben für Arbeitgeber, Bund und Länder sowie die Unfallversicherung aufgelistet und anhand von zwei Beispielen gezeigt, wie die Umsetzung in der Praxis gelingen kann. Das Positionpapier kann hier heruntergeladen werden.
Eine der größten Sorgen im Prozess der Aufrechterhaltung oder des Hochfahrens der Produktion ist derzeit die Überlastung der Beschäftigten durch zu lange Arbeitszeiten unter extrem harten Arbeitsbedingungen. Es ist bekannt und wissenschaftlich erwiesen, dass sowohl tägliche Arbeitszeiten jenseits der acht Stunden als auch verkürzte Pausen und Ruhezeiten das Risiko für Arbeits- und Wegeunfälle erhöhen. Wenn gegen das „goldene Arbeitszeitdreieck“, bestehend aus „8-Stunden-Tag, 11 Stunden Ruhezeit und 40-Stunden-Woche“, verstoßen wird, kann das zu mehr Arbeits- und Wegeunfällen führen. Außerdem kann es zu weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und auch zur Gefährdung Dritter kommen.
Die „Heldinnen und Helden“ der Krise müssen als „Heldinnen und Helden“ des Alltags auf den Schutz Ihrer Gesundheit, ihrer Unversehrtheit an Psyche und Physis vertrauen können. Hier sind Arbeitgeber, Bund und Länder sowie die Träger der Unfallversicherung gemeinsam gefordert.
Bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen in der Praxis unterstützen die zuständigen Gewerkschaften. So haben etwa ver.di, die IG Metall, IG BCE und IG BAU Handreichungen zum sicheren Arbeiten in der Corona-Krise zusammengestellt. Bei ver.di, Fachbereich Handel und der IG Metall gibt es Muster-Betriebsvereinbarungen, die auf die entsprechenden besonderen Anforderungen abstellen. Die IG Metall bietet auch digitale Qualifizierungsmaßnahmen zur Betriebsratsarbeit in Zeiten von Corona an.
Wie ein gelungener, nachhaltiger Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Praxis aussehen kann, zeigen zwei Beispiele.
Der Medizintechnikhersteller B. Braun aus Melsungen in Nordhessen geht mit gutem Beispiel in Sachen Arbeitsschutz in der Coronakrise voran. Das Unternehmen ist in dieser Krise besonders gefragt, um die ausreichende Zurverfügungstellung von Intensivbetten und Zubehör sicherzustellen. Nicht nur die erhöhte Auftragslage, sondern insbesondere der Schutz der Arbeitnehmer/-innen in diesen Zeiten stellt das Unternehmen vor Herausforderungen. Trotzdem gelingt es dem Unternehmen, den Arbeitsschutz nicht aus dem Blick zu verlieren. Durch vorherige Pandemien, wie z. B. die Vogel- oder Schweinegrippe, gab es bereits eingespielte Abläufe im Falle der Pandemie, wodurch die Arbeit des Krisenstabs sehr schnell aufgenommen werden konnte. Sehr früh wurde ein Krisenstab eingerichtet, an dem auch der Betriebsrat teilnimmt, so dass mit ihm die Maßnahmen abgestimmt und die Mitbestimmungsprozesse gesichert werden.
Verschiedene Schichtsysteme kommen im Unternehmen zur Anwendung. Hier sind z. B. in den 3-Schichtsystemen bereits vor der Coronakrise getroffene Regelungen zu Flex-Korridoren sehr hilfreich. Außerhalb der Coronakrise bestand die Möglichkeit, dass die Mitarbeiter bis zu 15min früher oder später die Schicht beginnen bzw. beenden konnten. Diese Flexibilität ist jetzt eingeschränkt worden, um die Begegnungen zwischen den verschiedenen Schichtmannschaften zu minimieren. So startet die erste Schicht 15 min vor dem eigentlichen Schichtbeginn, die zweite Schicht pünktlich zum Schichtbeginn und die letzte Schicht 15 min später, als eigentlich der Schichtbeginn vorgesehen ist.
Außerdem weicht B. Braun derzeit vom bisherigen Schichtmodell ab, das bisher einen Austausch von sehr vielen Schichten ermöglichte. In Zeiten von Corona wird auf ein altes bereits früher vereinbartes Schichtmodell zurückgegriffen, das jetzt für 2 Monate zur Anwendung kommt, um die einzelnen Schichtgruppen so wenig wie möglich mit anderen in Kontakt kommen zu lassen. Zudem wird auf ein früheres Ende der vorherigen Schicht geachtet und die nächste Schicht setzt auch später ein. Durch diese Maßnahmen gehen zwar ca. 20-25min effektive Arbeitszeit in den Schichten verloren. Diese werden jedoch nicht von den Mitarbeitern nachgearbeitet, sondern ganz im Sinne der Grundregel aus § 3 Abs. 3 ArbSchG vom Arbeitgeber als Kosten für den Arbeits- und Gesundheitsschutz übernommen.
Die notwendigen Schichtübergaben werden so gestaltet, dass sie entweder schriftlich erfolgen oder nur je eine Person aus der Schicht diese Übergabe vornimmt. Soweit elektronische oder telefonische Übergaben möglich sind, wird auf diese Möglichkeiten zurückgegriffen.
Für Bereiche, die bisher nur in Tagschicht gearbeitet haben, ist jetzt mit Zustimmung des Betriebsrats ein 2-Schicht-System eingeführt worden. Die erste Schicht, die normalerweise um 6 Uhr beginnen würde, beginnt nun bereits um 5.35 Uhr und endet dementsprechend früher. Die zweite Schicht nimmt die Arbeit erst um 14.25 Uhr auf, sodass sich die beide Einheiten nicht begegnen. Weiterer Vorteil dieser neuen Arbeitsform ist es, dass jetzt mehr Platz in den Produktionsräumen zur Verfügung steht und folglich das Abstandsgebot, das durch die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länder ausgesprochen wurde, ohne Probleme eingehalten werden kann. Natürlich ergeben sich derzeit viele Fragen zur Rechtswirkung des Kontaktverbots im Arbeitsschutzrecht und ob diese Regel eine Vermutungswirkung wie etwa die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) mit ihrem Regelwerk entfaltet. Fakt ist, dass verschiedene Akteure, wie beispielsweise das Land Sachsen, aber auch Berufsgenossenschaften deutliche Hinweise zur Umsetzungspraxis in den Betrieben geben.
B. Braun befindet sich mit den getroffenen Maßnahmen auf einem guten Weg. So wird auch von den Waschbecken in den Umkleideräumen jetzt nur noch jedes zweite benutzt, sodass hier durch die ausgedünnten Schichten auch das Abstandsgebot in diesen Bereichen sichergestellt wird. Vorteilhaft ist zudem, dass in der bisherigen reinen Tagschicht keine Schichtübergaben notwendig sind. Dieses Verfahren wäre auch denkbar für Betriebe, bei denen im sog. Schwarz/Weiß-Bereich gem. GefStoffV das Duschen nach der Schicht zwingend erforderlich ist. Auch in diesem Fall ist es wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit benötigen. Wenn weniger gleichzeitig die Duschen oder Wasch- und Umkleideräume nutzen können, darf das nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen.
Durch eine vor der Coronakrise existierende Betriebsvereinbarung zum Home-Office konnten 3.000 Mitarbeiter/- innen aus dem kaufmännischen Bereich Arbeiten im Home-Office übernehmen. Dadurch ergeben sich jetzt auch Möglichkeiten mehr Sozialräume für die Pausenzeiten zur Verfügung zu stellen. Damit ist auch in den Pausenzeiten das Abstandsgebot gewahrt und es befinden sich nur wenige Mitarbeiter gleichzeitig in einem Pausenraum.
In wenigen Bereichen kann das Abstandsgebot aufgrund von Tätigkeiten an einem Fließband nicht gewährt werden. Zur Sicherheit sind hier auf beiden Seiten des Fließbands Plexiglaswände installiert worden, um die Mitarbeiter/-innen - wie man es zurzeit aus dem Einzelhandel kennt – zu schützen. Andere Abtrennungen sind ebenso denkbar, solange sie geeignet sind und entsprechend auch gereinigt bzw. entsorgt werden können.
Beschäftigte mit Vorerkrankungen, bei denen sich eine Infektion mit dem Coronavirus lebensgefährdend auswirken könnte, werden an den werksärztlichen Dienst im Werk verwiesen, um entsprechende Maßnahmen zum Gesundheitsschutz der Betroffenen vorzubereiten.
Die Vielzahl der getroffenen Maßnahmen haben das Unternehmen in einer Phase, in der es auf Höchstlast fährt, gut aufgestellt und durch proaktives Handeln von Betriebsrat und Arbeitgeber den Arbeits- und Gesundheitsschutz in schwierigen Zeiten gefördert.
Das Positionspapier zum Download
DGB Position zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in und nach der Corona-Pandemie. April 2020