Deutscher Gewerkschaftsbund

18.02.2014
Interview

Freihandelsabkommen mit den USA: Fluch oder Segen?

Kein Abkommen zu Lasten von Beschäftigten und Sozial- und Umweltstandards

Gegner und Befürworter des geplanten Freihandelsabkommens zwischen USA und EU liefern sich einen offenen Schlagabtausch. Auch die deutschen Gewerkschaften sehen die Pläne kritisch.  Durch das Abkommen könnten die internationalen Kernarbeitsnormen unter Druck geraten, befürchtet DGB-Vorstandsmitglied Reiner Hoffmann. Denn die USA haben die Normen für Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen nicht ratifiziert - für den DGB sind sie unverzichtbar.

Wie steht der DGB zu den Verhandlungen für das EU-Handelsabkommens mit den USA "Transatlantic Trade and Investment Program" - kurz TTIP?

Reiner Hoffmann: Wir nehmen in der Diskussion eine kritische Haltung ein – um eine Blockade oder den Abbruch der Verhandlungen geht es uns zu diesem Zeitpunkt nicht. Die gewerkschaftliche Skepsis gegenüber dem Abkommen ist aber in den letzten Wochen gestiegen. Ich halte es für unverzichtbar, die Verhandlungen auf solide Füße zu stellen und rate jedem der Beteiligten – sei es auf nationaler, europäischer oder internationaler Ebene – davon ab, einen schnellen Abschluss bei TTIP durchzuboxen.

Inhaltlich hat der DGB bereits im letzten Jahr klar gemacht, dass ein solches Abkommen nicht zu Lasten der Beschäftigten und von Sozial- und Umweltstandards gehen darf. Die EU baut auf einem Wertekanon auf, der zum Beispiel in der Anerkennung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zum Ausdruck kommt. Dieser Wertekanon darf nicht einfach in Folge eines Handelsabkommens vom Tisch gefegt werden.

Was meinst du konkret?

Für die Gewerkschaften macht ein solches Abkommen nur dann Sinn, wenn es zu wirklichen Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen für die Bevölkerung dies- und jenseits des Atlantiks kommt. Das heißt Standards für Arbeitnehmerrechte, die industriellen Beziehungen und die Mitbestimmungsrechte zu etablieren, die mindestens dem höchsten Niveau entsprechen, das bislang in einem Land erreicht wurde. Dafür bedarf es einer expliziten Klausel im Abkommen, die einen Abbau von Arbeitnehmerrechten und Sozialstandards verbietet und den jeweils höchsten erreichten Standard absichert.

Container

Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der EU würde nicht nur den Warenverkehr betreffen. Es droht auch eine weitere Liberalisierung von öffentlichen Dienstleistungen. Gerade erst abgewehrte Gefahren, wie die flächendeckende Privatisierung der Wasserversorgung, könnten dann durch die Hintertür Einzug in Europa halten. DGB/Simone M. Neumann

Die EU-Kommission, die das Abkommen aushandelt, versichert aber, hohe europäische Standards seien nicht verhandelbar und würden durch das Abkommen nicht gefährdet. Gibt es also keinen Grund zur Besorgnis?

Wir begrüßen diese grundsätzliche Haltung der Kommission. Allerdings geben die bislang bekannt gewordenen Verhandlungsziele Grund zur Beunruhigung. Und auch die ganze Geheimniskrämerei und die mangelnde Transparenz im Prozess tragen nicht zu Versachlichung der Debatte bei. In meinen Augen ist es unverzichtbar, dass die nationalen Parlamente, ebenso wie die Sozialpartner und NGOs, beteiligt werden und originale Verhandlungsdokumente zugänglich sind. Öffentliche Akzeptanz für ein so wichtiges Handelsabkommen können die Verhandlungspartner nicht durch Beratungen in den Hinterzimmern gewinnen.

Sind Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte in Gefahr?

Leider steht diese Gefahr durchaus im Raum. Zwischen den USA und den EU-Staaten herrschen große Unterschiede in der Ausgestaltung und Regulierung der industriellen Beziehungen bzw. der Sozialpartnerschaft und in der Anwendung und Durchsetzbarkeit von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten. Für uns ist es unverzichtbar, dass sich beide Vertragsparteien zur Ratifizierung und wirksamen Umsetzung aller aktuellen IAO-Konventionen bekennen, insbesondere der IAO-Kernarbeitsnormen.

ILO-Kernarbeitsnormen

Die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO (Englisch: International Labour Organisation). Diese Normen wurden 1998 von der ILO als Mindeststandards für menschenwürdige Arbeitsbedingungen festgelegt. Ein Großteil der Internationalen Rahmenabkommen zu transnationalen Unternehmen bezieht sich auf die ILO-Normen. Die USA haben sechs dieser acht Normen nicht ratifiziert. DGB/Hans-Böckler-Stiftung

Der DGB betrachtet mit großer Sorge, dass die USA sechs der acht IAO-Kernarbeitsnormen nicht ratifiziert haben – unter anderem die Norm zur Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen. Zwei für die deutschen Gewerkschaften unverzichtbare Normen.

Wie bewertest du die Debatten um Investitionsschutzklauseln im Abkommen?

Eine solche Klausel birgt zu viele Gefahren in sich. Die Gewerkschaften sind ganz klar der Meinung, dass es eines solchen Investitionsschutzkapitel im Abkommen nicht bedarf. Ziel einer solchen Nebenbestimmung ist es, internationalen Investoren Schutz vor Enteignung oder Benachteiligung gegenüber einheimischen Unternehmen zu garantieren. Es ist aber nicht hinzunehmen, wenn der Schutz von Arbeitnehmerrechten oder der Umwelt oder andere staatliche Maßnahmen im Sinne der Bevölkerung den Interessen ausländischer Investoren untergeordnet werden.

Was genau befürchten die Gewerkschaften?

Verschiedene Investitionsschutzrechte haben bei anderen Abkommen dazu geführt, dass Staaten in ihrer Fähigkeit, Gesetze und Regeln im Sinne der Bevölkerung zu erlassen, eingeschränkt wurden. Deshalb verlangen wir beispielsweise explizit, dass es keine Klagerechte von Investoren gegen Staaten (Investor-State Dispute Settlement, ISDS) geben darf.

Denn ein solches Klagerecht würde amerikanischen Unternehmen das Recht einräumen, ordentliche Gerichte zu umgehen und stattdessen Verhandlungen vor intransparenten internationalen Schiedsgerichten ermöglichen. Ausländische Investoren dürfen aber in der EU keine Möglichkeit erhalten, die europäischen Gerichte durch Anrufung von Schiedsgerichten zu umgehen, um so Staaten unter Druck zu setzen. 

Gibt es für ein solches Vorgehen bereits Beispiele?

Die Intransparenz dieser Verfahren bringt es mit sich, dass leider wenige Informationen verfügbar sind. Es gibt aber Berichte, wonach es unter Rückgriff auf bestimmte Investoren-Klagerechte den Versuch eines französischen Unternehmens gibt, unter anderem gegen Maßnahmen zur Erhöhung des Mindestlohnes in Ägypten vorzugehen. Dieser Fall wird auch von der EU-Kommission nicht bestritten. Ähnliche Klagerechte von Investoren gegen Staaten werden derzeit genutzt, um Entschädigungen in Milliardenhöhe wegen des in Deutschland erfolgten Atomausstiegs vor internationalen Schiedsgerichten durchzusetzen. Es handelt sich also mitnichten um ein Schreckgespenst, sondern um ein durchaus praktiziertes Vorgehen von Unternehmen.

Welche negativen Auswirkungen sind noch zu befürchten?

Neue Freihandelsregeln können sich indirekt negativ auswirken, beispielsweise kann eine weitere Liberalisierung von Dienstleistungsmärkten dazu führen, dass die öffentliche Daseinsvorsorge unter Privatisierungsdruck gerät. Wenn etwa privaten Unternehmen der US-Wasserwirtschaft uneingeschränkter Zugang zum europäischen Markt gewährt werden muss, ist es unter Umständen nicht mehr möglich, die Wasserversorgung als öffentliche Aufgabe wahrzunehmen. Dann drohen den Verbrauchern schlechtere Qualität und höhere Preise, den Beschäftigten unsichere Arbeitsbedingungen und den Kommunen die Beschneidung ihres Selbstverwaltungsrechts.

Zum Thema:

Weitere Informationen finden Sie in der in der Seitenspalte rechts neben dem Interview. Unter anderem die DGB-Stellungnahme zu den Verhandlungen für das Handels- und Investitionsabkommen, eine umfassende Analyse des Abkommens von DGB-Experte Florian Moritz und das Dossier zur Internationalen Arbeitsorganisation und ihre Kernarbeitsnormen.


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Dieser Artikel gehört zum Dossier:

TTIP, CETA, TiSA & Co.

Zum Dossier

Stellungnahme zu den geplanten Verhandlungen für ein Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und den USA

Dokument ist vom Typ application/pdf.

Am 12. März 2013 hat die Europäische Kommission den Entwurf eines Mandats zur Aufnahme von Verhandlungen für ein umfassendes Freihandelsabkommen mit den USA („TransatlanticTrade and Investment Partnership“, TTIP) vorgelegt. Der DGB vertritt in seiner Stellungnahme die Position, dass von einem europäischen Handelsabkommen mit den USA positive Wohlfahrtseffekte ausgehen können, warnt aber vor übertriebenen Erwartungen.


DGB-Statement: Concerning the planned negotiations for a Transatlantic Trade and Investment Partnership Between the EU and the US (TTIP)

Dokument ist vom Typ application/pdf.

The European Commission submitted a draft mandate on 12 March 2013 for starting negotiations for a comprehensive Free Trade Agreement with the US (TTIP). In the opinion of the German Trade Union Confederation (DGB), the planned agreement should go beyond a conventional free trade agreement. Equally, procedures and transparency in the negotiations as well as the essential passages should be handled differently from previous EU agreements.

Die Internationale Arbeitsorganisation - ein Wegweiser für GewerkschafterInnen

Dokument ist vom Typ application/pdf.

Gesammeltes Wissen über die International Labour Organisation (ILO)/Internationale Arbeitsorganisation zusammengefasst von StipendiatInnen der Hans-Böckler-Stiftung. Darin enthalten sind u.a.: Geschichte und Aufbau; Internationale Kernprinzipien und Kernarbeitsnormen; Menschenwürdige Arbeit weltweit; ILO und Mindestlohnsysteme;