Das EU-Mobilitätspaket ("Mobility Package") soll neue Regeln für den Güterverkehr auf Europas Straßen festlegen. In diesen Tagen beginnt die entscheidende Phase der Beratungen auf europäischer Ebene: Am 3. Dezember treffen sich die europäischen Verkehrsminister, um über das Paket zu beraten. Doch verschiedene Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, würden den Güterverkehr unsicherer statt sicherer machen – sowohl für die Beschäftigten im Transportsektor als auch für andere Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer.
Mehr als 3.000 Menschen wurden 2017 auf deutschen Straßen bei Unfällen wegen Übermüdung verletzt oder getötet - deshalb sind faire Regeln für Lenk- und Ruhezeiten von Berufskraftfahrerinnen und -fahrern so wichtig.
Anfang November deckt das DGB-Projekt "Faire Mobilität" einen echten Skandal auf. In Ense, in der Nähe von Dortmund, sitzen 16 philippinische Fahrer auf dem Betriebsgelände einer Logistik-Firma fest. Die Männer berichten von teilweise unmenschlichen Zuständen: Seit bis zu 18 Monaten leben und arbeiten sie in ihren Fahrzeugen. Ihre Wochenenden verbringen sie auf dem Betriebsgelände der Firma in Ense, hausen in ihren LKWs. Es bestehe der "dringende Verdacht auf Menschenhandel und Arbeitsausbeutung", berichtet das DGB-Projekt "Faire Mobilität".
Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat sich am 30. November ebenfalls sehr klar zum Mobility Package geäußert. Beim Mobility Package würden die europäischen Gewerkschaften "keinen Vorschlag akzeptieren, der schlechte Arbeitsbedingungen noch schlechter macht", sagte EGB-Vorstandsmitglied Liina Carr.
Der Fall zeigt: Wir brauchen auf Europas Straßen bessere Regeln – gerade für die Beschäftigten im Transportsektor. Einige Vorschläge, die jetzt für das Mobilitätspaket auf dem Tisch liegen, scheinen aber genau in die andere Richtung zu weisen. Im aktuellen Textentwurf für den Europäischen Rat sind neue Regeln für die verkürzten wöchentlichen Ruhezeiten für Fahrerinnen und Fahrer vorgesehen: Statt drei Tagen Ruhezeit innerhalb von zwei Wochen, würden die neuen Regeln zwei Tage Ruhezeit innerhalb von drei Wochen bedeuten. Im Klartext: Von 21 aufeinanderfolgenden Tagen könnten Fahrerinnen und Fahrer bis zu 19 Tage in der Fahrerkabine sitzen. Außerdem soll es Ausnahmen vom Verbot geben, die reguläre wöchentliche Ruhezeit in der Lkw-Kabine zu verbringen. Für die Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer heißt das unterm Strich: Mehr Zeit auf der Straße und im Fahrzeug, weniger echte Ruhepausen.
Für DGB-Vorstand Stefan Körzell ist deshalb klar: "Die Lenk- und Ruhezeiten für die Lkw-Fahrer müssen so festgelegt sein, dass sowohl der Arbeitsschutz für die Beschäftigten als auch die Verkehrssicherheit gewährleistet sind." Denn zum einen brauchen auch die Fahrerinnen und Fahrer als Beschäftigte einen fairen Arbeitsschutz und genügend Pausen – zum anderen ist Übermüdung am Steuer eine echte Gefahr auch für andere Verkehrsteilnehmer.
Und diese Gefahr ist den Beschäftigten im Transportsektor selbst bewusst. Das WDR-Magazin "Westpol" hat sich den Fall der 16 Fahrer von den Philippinen genauer angeschaut und auch die Situation in der gesamten Speditionsbranche unter die Lupe genommen. Westpol-Reporter Felix Mannheim berichtet, er habe Fahrer getroffen, "die so am Ende sind, dass sie sich selbst für eine Gefahr halten". Das Fazit der Westpol-Redaktion: "Das Schicksal der Filipinos ist kein Einzelfall. Dahinter steckt System."
Tweet des Westpol-Reporters Felix Mannheim zu seinen Recherchen unter Lkw-Fahrern auf deutschen Straßen Screenshot / Twitter
Umso erschreckender ist es, dass manche Vorschläge für das Mobilitätspaket eine Lockerung der Ruhezeiten-Regelungen vorsehen – de facto würde so eine bisher illegale Praxis durch EU-Recht legalisiert.
Doch auch an anderer Stelle droht für die Beschäftigten im Straßen-Güterverkehr Ungemach durch das Mobilitätspaket. Zwar wurde die EU-Entsenderichtlinie in diesem Jahr so überarbeitet, dass es echte Verbesserungen für entsandte Beschäftigte aus anderen EU-Ländern gegeben hat. Doch Beschäftigte im grenzüberschreitenden Straßentransport wurden von den verbesserten Entsende-Regeln bewusst ausgeklammert. Das würde sich nach aktuellem Stand auch durch das Mobilitätspaket wohl nicht ändern.
"Die Beschäftigten im europäischen Straßentransportsektor dürfen nicht zu Beschäftigten zweiter Klasse degradiert werden", kritisiert DGB-Vorstand Annelie Buntenbach. "Auch für sie muss ganz klar das so genannte Ziellandprinzip gelten: Sie müssen als entsandte Beschäftigte ein Anrecht auf die Standards haben, die in dem Land gelten, in dem sie tatsächlich arbeiten." Sprich: Wer in Deutschland fährt und arbeitet, muss auch Anspruch auf den deutschen Mindestlohn und andere Mindestarbeitsbedingungen haben.
Aktuell wird im Rahmen der Mobilitätspaket-Verhandlungen aber über eine "Import-Export-Ausnahme" diskutiert, bei der bis zu einer bestimmten Zahl von Be- und Entladungen pro Tour nicht der jeweils gültige Mindestlohn an die Fahrerinnen und Fahrer gezahlt werden müsste. Im Klartext: Wenn Spediteure aus anderen EU-Staaten die Touren ihrer Lkw-Fahrerinnen und Fahrer entsprechend planen, können sie den deutschen Mindestlohn unter Umständen komplett umgehen – selbst wenn die Fahrerinnen und Fahrer einen Großteil ihrer Arbeitszeit in Deutschland unterwegs sind.
Für den DGB ist deshalb klar: Das Mobilitätspaket muss für die Beschäftigten im Straßentransport echte Verbesserungen bringen, keine Verschlechterungen – vor allem bei den Lenk- und Ruhezeiten. Und die verbesserten Regelungen der Entsenderichtlinie müssen auch für die Fahrerinnen und Fahrer im Transportsektor gelten – inklusive Mindestlohn im Zielland. Diese und andere Punkte müssen auf der Zielgerade der Verhandlungen unbedingt noch umgesetzt werden.